Karl von Leiningen-Westerburg (1819-1849)
von Boglárka Tóth
Karl von Leiningen-Westerburg war ein ungarischer Nationalheld. Obwohl seine Nationalität Deutsch war und er kaum ungarisch reden konnte, kämpfte er 1848/1849 zusammen mit den Ungarn um die Unabhängigkeit ihres Landes und verlor sein Leben nach der Niederschlagung der Revolution. Wie kam ein deutscher Graf mit Wurzeln im Westerwald dazu, mit den Ungarn zusammen gegen das österreichische Kaisertum zu kämpfen? Über seinen letzten Tag berichtet ein Brief, den er unmittelbar vor seinem Tod geschrieben hat und der in diesem Beitrag abgedruckt ist.
Karl von Leiningen-Westerburg war ein ungarischer Nationalheld. Obwohl seine Nationalität Deutsch war und er kaum Ungarisch reden konnte, kämpfte er 1848/1849 zusammen mit den Ungarn um die Unabhängigkeit ihres Landes und verlor sein Leben nach der Niederschlagung der Revolution.
Das 19. Jahrhundert war das Zeitalter der Revolutionen. Der Anfang dieser revolutionären Welle war natürlich die Französische Revolution, aber die Völker haben sich später in anderen Ländern in ganz Europa ebenfalls aufgelehnt, wie zum Beispiel in Italien, im Deutschen Bund oder in Ungarn.
In diesem Teil der Habsburger-Monarchie entwickelte sich die Revolution zu einem Unabhängigkeitskrieg. Im März 1848 brach der Krieg aus und dauerte bis Oktober 1849. Nach der Niederschlagung der Revolution blieb Ungarn nicht von Sanktionen verschont. Im Herbst des Jahres 1849 wurden der erste ungarische Ministerpräsident, Lajos Batthyány, und 13 Anführer und Generäle hingerichtet. Diese gingen als die 13 Märtyrer von Arad in die ungarische Nationalgeschichte ein. Karl von Leiningen-Westerbug war einer der 13 Märtyrer.87
Karl entstammt ursprünglich aus einer hessischen Adelsfamilie, nämlich von Leiningen. Dieses Adelsgeschlecht ist erstmals im 12. Jahrhundert im pfälzischen Raum nachgewiesen. Die Leiningen-Westerburg-Linie wurde im 15. Jahrhundert durch die Heirat von Reinhard III. (1388-1449) von Westerburg mit Margarethe, der Schwester von Landgraf Hesso, begründet, der 1476 ohne Nachkommen starb. Nach seinem Tod erbte Margarethe die Leiningischen Besitztümer. Ihr Enkel Reinhard (1453-1522) benutzte erstmals den Namen „Leiningen-Westerburg“. Obgleich die Hauptlinie am Ende des 16. Jahrhunderts ausstarb, bestanden die Nebenlinien noch bis zum 20. Jahrhundert.
Karl wurde am 11. April 1819 in Ilbenstadt1 (Hessen) geboren.2 Da sein Onkel und seine Brüder als Soldaten dienten, trat auch er 1835 in das österreichisch-ungarische Heer ein. Im Jahr 1844 heiratete er eine ungarische Frau, Elizabeth (Erzsébet) Sissányi. Sie lebten in Törökbecse.3 Ein Jahr später, 1845, wurde ihre Tochter, Lisa (Erzsébet), und drei Jahre später ihr Sohn, Ármin, geboren. Nach seiner Hochzeit trat er aus dem Heer aus. Den Winter verbrachte die Familie in Wien oder Pressburg, im Sommer waren sie immer in Törökbecse, wo sich Karl sehr oft mit seinen Schwagern traf, Leopold (Lipót) Rohonczy (1807-1861) und Gyula Urbán (1815-1903).
Die ungarische Revolution war eigentlich ein bürgerlich motivierter Aufstand gegen das Kaiserreich Österreich. Seit 1526 wurden Heerwesen, Außenhandel, Zollwesen und die auswärtigen Angelegenheiten im habsburgischen Ungarn von den kaiserlichen Zentralorganen entschieden. Das Ziel der Revolution 1848 war es, diesen kaiserlichen Einfluss zu brechen und vor allem eine unabhängige Regierung zu bilden (die sogenannte Batthyány-Regierung, 23. März 1848) und die ungarische Verfassung zu stiften. Da die Bevölkerung des ehemaligen Großungarn aus verschiedenen Völkern bestand (neben den Ungarn lebten dort noch u.a. Serben, Kroaten und Rumänen), ergaben sich daraus für die Revolution große Probleme: Die dort lebenden Ethnien wollten auch die politische und territoriale Unabhängigkeit; auch diese Völker waren bereit, dafür mit Waffen zu kämpfen. Damit begann der Krieg am 12. Juni 1848 wegen der Kroaten in Südungarn. Am Anfang stand die kaiserliche-königliche Armee gegen den ethnischen Aufstand; es änderte sich, als die Regierung die Aufstellung der ungarischen Honvédarmee anordnete, die im September bereit war für dem Kampf. Die Situation wurde komplizierter, weil die politische Spannung zwischen der ungarischen und österreichischen Regierung immer größer geworden war. Unter solchen Umständen musste Karl entscheiden, wo er kämpfen wird: entweder an der Seite des österreichischen Kaisertum oder mit dem Königreich von Ungarn. Er kämpfte ab Oktober 1848 zusammen mit der ungarischen Armee, in der er schnell zum General befördert wurde. Doch was bewog einen deutschen Grafen, zusammen mit den Ungarn zu kämpfen?
Die Antwort ist ziemlich einfach: Da er mit einer ungarischen Frau verheiratet war, bekam er automatisch auch ungarischen Landbesitz (Törökbecse) – so wurde Ungarn seine Heimat. Das berichtete er in seinem Brief an Lisa am 28. Oktober 18484. Obwohl einige seiner Verwandten auf der habsburger Seite kämpften, wie zum Beispiel sein Cousin Christian zu Leiningen-Westerburg (1812-1856), wollte er nicht gegen Ungarn stehen.
Im Oktober des Jahres 1848 also meldete er sich beim Kriegsminister Lázár Mészáros5, um seine militärischen Dienste anzubieten: Karl wollte in Südungarn gegen die serbischen Aufständischen kämpfen. Das Ziel der serbischen Revolution war ähnlich: Auch sie wollten politische Unabhängigkeit von der ungarischen Regierung. Da Törökbecse in dieser Zeit unter serbischer Offensive stand, trat er in die Honvédarmee ein, um seine Eigentum und seine Familie zu beschützen. Der militärische Erfolg des Grafen brachte ihm schnell Beförderungen ein: Im Dezember 1848 wurde er Major und Bataillons-Kommandant, ab März 1849 wurde er Oberstleutnant, und ab 20. Juni 1849 wurde er General des III. Korps der Honvédarmee von Bánság (Südungarn).6 Sein Talent für das Kriegshandwerk zeigte sich schnell, er war ein ausgezeichneter Stratege und Soldat, zugleich bewies er Mut.
Im Frühling des Jahres 1849 bat Kaiser Franz Joseph7 den russischen Zar, Nikolaus I. (1825-1855), um Hilfe. Dieser begann die Mobilisierung seiner Armee, die aus 200.000 Soldaten bestand.8 Außerdem reorganisierte Franz Joseph die österreichische Armee (ca. 170.000 Soldaten9), und zum Kommandanten wurde Julius Haynau10 befördert, der für seine Grausamkeit bekannt war. Die Generäle der Honvédarmee konnten gegen diese konzentrierte militärische Übermacht wenig ausrichten, obgleich mehrere Schlachtpläne entwickelt wurden. Der General der ungarischen (Honvéd-)Armee, Artúr Görgei, kapitulierte vor dem russischen Heer, am 13. August 1849 in Világos, deren Führung nunmehr in die Hände des Kaisers von Österreich gelegt wurde.
Nach der Kapitulation wurden zwölf Generäle (darunter Karl von Leiningen- Westerburg), ein Oberst und der erste Ministerpräsident von Ungarn hingerichtet sowie weitere 500 Todesurteile ausgesprochen. „So eben haben vier von uns ausgelebt“, schrieb Karl in seinem letzten Brief. Diese vier Soldaten, deren Schuld als geringer eingestuft wurde, überführte man einem schnelleren Tod durch Erschießen. Die anderen neun Soldaten starben als Hauptverantwortliche einen langsameren Tod am Galgen. In den Memoiren von Benjamin Baló (1813-1869), einer der anwesenden Priester, bekommen wir ein Bild von dem Geschehen: Am 6. Oktober morgens um 6 Uhr wurden die Generäle zum Richtplatz geführt, wo der Henker schon auf sie wartete. Alle Generäle trugen ihre zivile Kleidung, außer Karl, der dafür bezahlt hatte, in seiner militärischen Uniform sterben zu dürfen. Er war der sechste in der Reihe.
Nach der Hinrichtung wurden die Toten nackt mit den Galgensäulen zusammen begraben. Natürlich versuchten deren Familienangehörige, die Körper im Geheimen abzuholen, aber nicht alle Versuche waren erfolgreich. Sechs Leichname wurden geborgen und anderweitig begraben, darunter auch der Körper von Karl. Zunächst wurde er in Monyoró11 begraben, dann 1876 in Borosjenő12. 1974 wurden seine Gebeine erneut exhumiert, seitdem ruht er zusammen mit der anderen Märtyrern in Arad im ewigen Schlaf.
Zunächst durften die Menschen bis zum österreichisch-ungarischen Ausgleich (1867) nicht über die Märtyrer von Arad reden, deshalb blieb der genaue Ort des Richtplatzes und der Gräber bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts unbekannt.
Der letzte Brief von Karl von Leiningen-Westerburg
Lieber guter Poldl13!
Meine Ahnung hat mich nicht betrogen,
es ist Ernst, fürchterlicher Ernst.
In einer Stunde habe ich ausgerungen.
Ich hatte bis jetzt gehofft, dich noch ein
Mal zu sehen, leider ist mir das nicht
vergönnt. – So leb denn wohl mein
guter theurer Freund, wenn das Ge-
bet eines Sterbenden erhört wird, so
wirst du bald im Schooße deiner Familie
glücklich leben, wenn auch die Erinnerung
an mich euren Himmel etwas trüben
mag. - Ich segne dich, deine Frau14 und
deine Kinder und flehe zu ihm um Stärke
in meiner letzten Stunde. – Sage
allen meinen alten guten Freunden das
letzte schmerzliche Lebe Wohl von mir.
An Georg15 schrieb ich u. schickte einen Brief an
Lisa. – O großer Gott schütze mein armes Weib.
Nun noch etwas Irdisches. – Die Ft 450[…] von
Whestphalen16 hat Lisa bis jetzt noch nicht
erhalten, auch Gyula hat ihr das bei
ihm deponirte Geld noch nicht geschickt. –
So bald es dir möglich verkaufe meine beiden
Pferde, die bei Herrn von Tisz[r]a17 sind. Von
dem Erlös zahle an Dauyanich18Wittwe
Ft. 400 … das ueberbringe an Lisa – Schreibe
gleich an Claire, vielleicht kann sie nach Preßburg
und der armen Lisa beistehen in ihrem
Schmerzen kümmern, schwesterliche Thränen
sind der beste Trost, den sie haben kann.
So eben haben vier von uns ausgelebt, noch
hallen die Schüsse in meinem Herzen wider.
Jetzt kommt die Reihe an uns, nochmals
lebe wohl, in einem besseren Welt sehen
wir uns wieder – Gott segne euch
alle mein braven Waffengefährten.
Lebt wohl, lebt wohl.
dein Karl
Quelle:
Der Brief von Karl Leiningen-Westerburg - MNL OL R 128. – 4. – No. 3. Magyar Nemzeti Levéltár Országos Levéltára/National Archives of Hungary.
Ich danke dem ungarischen Nationalarchiv für die freundliche Erlaubnis, diesen Brief im Original abdrucken zu dürfen.
Literatur:
- Greiff, Karl.: Westerburg, Stadt seit 1292.Herausgegeber: Stadt Westerburg, 1999.
- Katona Tamás: Az aradi vértanúk naplói. Kriterion Könyvkiadó, Budapest. 1991.
- Katus László: Magyarország a Habsburg Monarchiában. In Romsics Ignác: Magyarország története. Akadémia Kiadó,Budapest., 2007.
- Leiningen-Westerburg Károly levelei In: Katona Tamás: Az aradi vértanúk. Neumann Kht.; Budapest, 2001. http://mek.oszk.hu/06100/06162/html/index.htm
- Reiszig Ede: Torontál vármegye nemes családai. In: Borovszky Samu: Mgyarország vármegyéi és városai. 1912. http://mek.oszk.hu/09500/09536/html/tartalomjegyzek.html
- Tóth Zsolt: Az aradi vértanúk sírjainak kutatása és feltárása. In: Hadtörténeti Közlemények. 126.évf.1.szám.Budapest,2013. http://epa.oszk.hu/00000/00018/00026/pdf/EPA00018_hadtortenelmi_2013_1_187-204.pdf
1 Wegen der Auseinandersetzungen der deutschen Fürsten mit dem revolutionären Frankreich existierte die große Grafschaft Westerburg-Leiningen am Ende des 18. Jahrhunderts nicht mehr. Stattdessen erhielt das Adelsgeschlecht das Gebiet der Abtei Ilbenstadt in der Wetterau, in der Karl 1819 geboren wurde.
2 Katona Tamás: Az aradi vértanúk naplói. Kriterion Könyvkiadó, Budapest. 1991, 35.
3 Törökbecse ist eine kleine Stadt, die heute im Zentral-Banat liegt, in Vojvodina, Serbien. Die Vojvodina- Siedlung war ein Teil Großungarns bis zum Frieden von Trianon nach dem Ende des Ersten Weltkriegs (1920). Der Vater von Elisabeth Sissányi, János Pál Hadsimihal-Sissányi, bekam Törökbecse 1798 zum Eigentum. Nach dem Tod des Vaters blieb das Eigentum bei Lisa und ihren Schwestern, Klára und Constance.
4 Der Brief von Karl zu Leiningen-Westerburg ist abgedruckt in: Katona Tamás: Az aradi vértanúk. Neumann Kht.; Budapest, 2001. http://mek.oszk.hu/06100/06162/html/index.htm
5 Lázár Mészáros (1796-1858) war der Kriegsminister der ersten ungarischen Regierung und Generalleutnant der Honvédarmee.
6 Katona Tamás: Az aradi vértanúk naplói. Kriterion Könyvkiadó, Budapest,1991.35.
7 Franz Joseph I. (1830-1916), Kaiser von Österreich
8 Katus László: Magyarország a Habsburg Monarchiában. In Romsics Ignác: Magyarország története. Akadémia Kiadó, Budapest, 2007, 650.
9 Vgl. ebd., 651.
10 Julius von Haynau (1786-1853) war kaiserlicher und königlicher Geheimer Rat und Feldzeugmeister. Er trat zunächst in österreichische Dienste (1801). Nach mehreren militärischen Erfolgen übernahm er das Oberkommando (mit unbeschränkten Vollmacht) in Ungarn. Auf seinen Befehl wurden die Märtyrer und der erste Ministerpräsident von Ungarn hingerichtet. Von daher war er als der „Blutrichter von Arad“ bekannt.
11 Die Siedlung gehörte Gyula Urbán, dem Schwager von Karl. Heute liegt Monyoró in Rumänien.
12 Borosjenő liegt nicht in der Nähe von Arad in Rumänien.
13 Leopold/Poldl (Lipót) Rohonczy (1804-1861) war Karls Schwager, der Mann von Klára Sissányi.
14 Klára Sissányi (1821-1861) war die Frau von Lipót [Leopold/Poldl], der Schwester von Karls Frau Elizabeth.
15 Georg zu Leiningen-Westerburg (1815-1850) war der Bruder von Karl. Er diente in der Armee des Kaisers von Österreich als Hauptmann.
16 Friedrich von Westphalen zu Förstenberg (1824-1865) war Oberleutnant der österreichischen Armee.
17 Lajos Tisza (1798-1856) war Administrator des Komitats Bihar.
18 János Damjanich (1804-1849) war serbischer General der Honvédarmee und wurde ebenfalls am 6. Oktober in Arad hingerichtet.