Eine Fundgrube an Beispielen mittelalterlicher Konflikte und Strategien zu ihrer Beilegung

von Francesco Drakidis

Einstmals haben 25 Steine das Gebiet der Reichsherrschaft Homburg von jenem des Herzogtums Berg abgegrenzt. Diese Grenzsteine waren der steingewordene Beweis für die Beilegung etlicher Konflikte, welche über Jahrzehnte und Jahrhunderte in und um Homburg geführt wurden. Diese Konflikte waren von unterschiedlichster Natur und spiegelten die Vielfalt mittelalterlichen Konfliktpotenzials wider. Anhand ausgewählter Ereignisse aus der Geschichte der Reichsherrschaft Homburg von 1294 bis 1604 will der Autor dieser Arbeit den Leser über mittelalterliche Konflikte und die zahlreichen Möglichkeiten der Konfliktbeilegung informieren. Viele Informationen der nachfolgenden Zeilen stammten aus den außerordentlich gewissenhaft geführten Recherchearbeiten der Historiker Karl Heckmann und Peter Wilhelm Hüssen. Beide haben im Rahmen ihrer Möglichkeiten bestmöglich Gebrauch von historischen Primär- und Sekundärquellen gemacht und diese aufbereitet. Doch bevor der Verfasser dieser Zeilen seine Leser in die klaren Wasser der auf Quellen basierenden historischen Tatsachen führt, möchte er die Reise in den ebenso undurchsichtigen wie höchst spannenden Gefilden der Sagen und Legenden führen. Die Zeit des legendären Ritters Werner von Homburg.


Sagen und Legenden mit einem wesentlichen Körnchen Wahrheit

Wie jeden Morgen verließ der Ritter Werner von Homburg zu Fuß und in Begleitung seiner beiden Hunde die Homburg, um in einer nahen Quelle des Siegzuflusses Bröl zu baden. Es war ein sonniger Julimorgen des Jahres 1250 und alles wirkte zum Baden einladend. Das sommerliche Wetter, der Spaziergang durch den Wald zur Quelle, die um ihn herumspielenden Hunde und der Frieden des Landes. Zu diesem Zeitpunkt ahnte Werner von Homburg noch nicht, dass er der letzte männliche Vertreter seiner Linie sein sollte. Er hatte zwar eine Tochter, Jutta, doch galten zu dieser Zeit nur die männlichen Nachkommen als erbberechtigt, und das Fehlen eines Agnaten, eines direkten männlichen Nachkommen, sollte die Herrschaft Homburg noch in weitreichende Probleme stürzen. All das war jedoch an diesem sonnigen Julimorgen noch nicht abzusehen, und so begab er sich im Vertrauen auf den Frieden des Landes und der Unverletzlichkeit der Bannmeile zu seinem allmorgendlichen Ritual. Doch die Quelle sollte er nicht erreichen. Während Werner von Homburg nichts ahnend den Burgpfad hinunterging, lauerten am Wegesrand in den Büschen versteckt seine Entführer. Nur Werners Hunde witterten die drohende Gefahr. Bellend jagten diese in Richtung der Büsche, doch der Ritter vermutete lediglich einen holzsammelnden Jungen als Ursache für das Verhalten seiner Hunde und versuchte sie zurückzuhalten. Die Hunde ließen sich jedoch nicht zurückpfeifen, und ihr Besitzer musste ihnen hinterherlaufen. Eben in diesem Moment zeigte sich der Grund, weswegen die Hunde anschlugen.

Vier gerüstete und bewaffnete Kämpfer - ohne Helmzierde oder mit anderen sichtbaren Erkennungszeichen versehen – sprangen aus den Büschen hervor und stürzten sich auf den letzten Herrn von Homburg. Sie überwältigten den nicht gerüsteten Mann nach kurzem und intensiv geführtem Kampf. Die Hunde mussten angesichts dieses Vorfalls völlig außer sich gewesen sein. Ihr Bellen alarmierte die Mannschaften und Bewohner der Burg, und diese machten sich auf, den Grund für das aufgewühlte Verhalten der Tiere zu erkunden. Die Entführer ließen keine Zeit verstreichen, und innerhalb kürzester gelang es ihnen, mit dem Entführen die unmittelbare Gefahrenzone zu verlassen. Kam es wider Erwarten zu einer Begegnung mit kritisch nachfragenden Untertanen des Burgherrn, wurden diese mit einer glaubhaft erscheinenden Lüge abgewimmelt. Es würde sich um eine verlorene Wette und um einen Scherz handeln, teilte man der Bevölkerung der Homburg mit. Auch auf ihrem weiteren Zug durch Berg bedienten sich die vier unbekannten Ritter erfolgreich dieser Lüge. So gelang es ihnen, mit dem gefesselten von Homburg ohne weitere Schwierigkeiten durch das Bergische Land in Richtung Rhein zu ziehen - wo ihr Auftraggeber bereits voller Vorfreude auf sie und ihren Gefangenen wartete.

Die Mitte des 13. Jahrhunderts war keine Zeit von Anarchie und Gesetzlosigkeit. Konflikte und Fehden wurden mithilfe geregelter politischer und juristischer Prozesse beigelegt oder in kriegerischen Auseinandersetzungen geklärt. Die Ergebnisse der Kompromissfindungen wurden in Verträgen und anderen schriftlichen Werken verbindlich festgehalten und die Einhaltung eben jener Übereinkommen von den Autoritäten ihrer Zeit überwacht. Wie konnte es demnach dazu kommen, dass ein Ritter auf seinem eigenen Land überwältigt und entführt wurde? Vogelfrei (ein offizieller Status, der einen ohne jeglichen Anspruch auf Schutz und Recht zurücklässt) war Werner von Homburg nicht. Ganz im Gegenteil. Bei ihm handelte es sich um einen respektablen Kriegshelden und einem reichsunmittelbaren, dem König und Kaiser direkt unterstellten Ritter. Er befand sich auch nicht im Kriegszustand mit einer anderen Partei. Die Erklärung muss also beim Initiator der Entführung liegen.

Bei dem Auftraggeber der Entführer handelte es sich um keinen Geringeren als Siegfried von Westerburg, dem späteren ebenso berühmten wie von der Kölner Bevölkerung verhassten Erzbischof von Köln. Siegfried von Westerburg war den Überlieferungen nach kein besonders umgänglicher Zeitgenosse. Getrieben von Ehrgeiz und dem Drang zur Macht, beides keine ausschließlich ihm eigenen Eigenschaften, befand er sich durchgehend im Streit mit den benachbarten Machthabern. In Folge einer dieser vielen Streitigkeiten zogen unter anderem Siegfried von Westerburg und der Graf von Mark gegeneinander in die Schlacht. Freund und treuer Gefährte des Grafen von Mark war Werner von Homburg, und in der Schlacht von Soest sollte es zu einem verhängnisvollen Aufeinandertreffen zwischen Werner und Siegfried kommen.

Die Schlacht von Soest ist eine von vielen Kämpfen gewesen, die um die Zugehörigkeit dieser Stadt geführt wurden. Bei dieser Schlacht trafen auch die Zeit ihres Lebens miteinander verfeindeten Herren Siegfried von Westerburg und Eberhard von Mark aufeinander. Einer von Eberhards Bannerführern war Werner von Homburg, und in der Schlacht von Soest kam es zum Eklat. Alle Parteien kämpften hart und tapfer, die hohen Herren fochten dabei an vorderster Stelle gemeinsam mit ihren Kämpfern. So trafen fatalerweise auch Werner und Siegfried aufeinander. Lange Zeit ließ sich nicht absehen, welche Seite obsiegen würde. Zumindest so lange nicht, bis Werner von Homburg, ein „einfacher“ Ritter, den ihn in der Hierarchie überragenden Edelmann Siegfried von Westerburg stellte. Er tötete dessen Schlachtross, stieß ihn so vom Pferd und brachte den mächtigen Kontrahenten zu Fall. Siegfried lag „zerquetscht, betäubt und verwundet“ im Sand, und lediglich das beherzte Eingreifen eines seiner Verbündeten, Graf Walram von Falkenburg, verhinderten die Gefangennahme des Edelmannes von Westerburg. Niederlagen waren zwar schmählich und teuer, gehörten aber zum Alltag kriegführender Machthaber dazu. Was weniger alltäglich war, war die Schande, die aus der persönlichen Niederlage im Zweikampf gegen einen Kontrahenten niederen Standes resultieren konnte.

Freie Menschen des 13. Jahrhunderts hatten nach den bisher präsentierten Informationen zwei Möglichkeiten, Streitigkeiten beizulegen: Fehdeführung (geregelte, kriegerische Auseinandersetzungen) oder politische Prozesse (geregelte Verhandlungen unter Beisein höherer Instanzen). Im Fall Siegfrieds von Westerburg gegen Werner von Homburg kam jedoch eine dritte Option hinzu – die Vereinbarung eines Ausgleichs untereinander. Siegfried sah sich durch die Aktion des Werner von Homburg auf dem Schlachtfeld bei Soest zutiefst gedemütigt. Zum Ausgleich forderte Siegfried die ritterlichen Neffen des Werner von Homburg dazu auf, ihm den Onkel auszuliefern. Dieser sollte zum Ausgleich für die erlittene Schmach eine „kleine Zeit“ im Gefängnis des Siegfrieds absitzen und dann wieder entlassen werden. Neben dem Versprechen einer großzügigen Belohnung garantierte Siegfried von Westerburg den beiden Neffen auch, dass er sich nicht an den Gütern oder dem Körper den Onkels vergreifen würde. Die beiden Neffen, Cuno von Gimborn und Gerhard von Schönrath, ritten zur Homburg und unterbreiteten ihrem Onkel das Angebot. Werner von Homburg wusste um den rachsüchtigen und gefährlichen Charakter Siegfrieds. Er witterte ein falsches Spiel des Westerburgers und weigerte sich, den beiden Neffen zu folgen und sich in Gefangenschaft zu begeben.

Nach mittelalterlichem Rechtsverständnis ist dieses Angebot Siegfrieds völlig legitim gewesen. Der Adel verfügte über eine ganze Reihe von Privilegien, darunter jenes des Akts der Unterwerfung. Um Satisfaktion für ein erlittenes Unrecht zu erhalten, konnte der Kläger den Beklagten dazu auffordern, sich ihm öffentlich zu unterwerfen und so dazu beitragen, einen Konflikt weitestgehend friedlich beizulegen. Diese Unterwerfungsakte wurden öffentlich zelebriert und aller Wahrscheinlichkeit nach umfassend organisiert und eindrucksvoll inszeniert. Mittels dieser Strategie zur Konfliktbewältigung gelang es in Zeiten des Hochmittelalters häufig, kriegerische Konflikte zu verkürzen oder gar zu vermeiden.

Siegfried hätte folglich im Rahmen der Fehdeführung auch einen Kleinkrieg gegen den Herrn von Homburg führen und so seine Satisfaktion erstreiten können. Doch lag das Territorium Homburgs, abgeschirmt von Siegfrieds mächtigen Feinden Mark und Berg, weit außerhalb seiner Reichweite. Da offener Krieg demnach nicht infrage kam, überlegte sich Siegfried zum Ausgleich der ihm zugefügten Schande dieses kurios anmutende Angebot.

Die Neffen mussten sich etwas anderes einfallen lassen, da der Onkel partout nicht mitkommen wollte und ihnen so das Einstreichen der auf sie wartenden Belohnung wesentlich erschwerte. Als gute Neffen kannten sie die Routinen Werner von Homburgs. Unter anderem auch jene, dass er jeden Morgen ein Bad in der nahe gelegenen Quelle nahm. Sie lauerten ihm auf dem Weg zur Quelle auf, überwältigten und entführten ihn. Die Menschen der Umgebung konnten diesen Vorfall durchaus für einen Scherz und eine Wette unter Edelleuten halten. Weswegen sonst sollten die Neffen ihren Onkel denn entführen und ihm Leid zufügen wollen?

In Beuel am Rhein übergaben sie Werner von Homburg an Siegfried von Westerburg, der seinen neuen Gefangenen mit Hohn und Spott begrüßte. Werner von Homburg blieb nicht lange im Verlies, Siegfried hatte sich nämlich etwas anderes ausgedacht. In einer mit weichem Moos, Rosenblättern und Wolle ausgelegten und fest gemauerten Grube ließ er seinen Gefangenen lebendig vergraben und sterben. Die Edelleute aus der Umgebung waren außer sich und bedrängten die Neffen, auf das ihnen von Siegfried gegebene Versprechen der körperlichen und gütlichen Unversehrtheit des Onkels zu beharren. Dieser entgegnete nur, dass ihm die Ländereien von Homburgs nicht interessieren würden. Die körperliche Unversehrtheit hingegen wäre dadurch sichergestellt, dass die in der Grube verteilten Rosen gänzlich dornenfrei und die Grube selbst außerordentlich weich ausgelegt worden sei.

So starb der Ritter Werner von Homburg. Ohne männliche Nachfolge und lebendig begraben im Feldlager des Siegfried von Westerburg.

Die Historizität der Person Werner von Homburgs wird von vielen Wissenschaftlern und Heimatkundlern infrage gestellt. Nichtsdestotrotz erfreuen sich die Geschichten um den Ritter Werner und seinen tapferen Taten noch immer einer großen Beliebtheit im Homburger Land. Die oben beschriebenen Ereignisse und Personen mögen nicht vollständig auf historischen Tatsachen fußen - und dennoch geben sie sehr gut wieder, wie etwaiger Verlust an Prestige sich zu einem ernstlichen Politikum entwickeln und sich häufig genug ursächlich für langwierige Fehden zeichnen konnte.


Gottfried von Sayn und der Beginn der Homburger „Doppelherrschaft“

In den nachfolgenden Zeilen werden die eingangs erwähnten, klareren Fahrwasser auf zahlreichen Quellen basierender historischer Ereignisse erreicht. Ein hohes Maß an Historizität mag vielleicht nicht so schmuckhaft wie die fantasievolleren Beschreibungen von Ereignissen aus nicht dokumentierten Zeiten erscheinen, doch ruhiger und langweiliger sind diese nicht.

Jutta von Isenburg könnte also die Tochter eines Ritter Werner von Homburg gewesen sein, sehr wahrscheinlich ist diese Annahme jedoch nicht. Sicher verbrieft hingegen ist, dass sie mit Gottfried von Sayn vermählt war und ihr die Homburg samt Umland als Wittum (eine Form der Witwenversorgung) zugewiesen wurde. Diese präzise Information ist einer Kaiserurkunde des Jahres 1276 zu entnehmen. In dieser Urkunde wird beschrieben, wie Gottfried von Sayn die Homburg an den König und Kaiser Rudolf I. von Habsburg übertrug und dieser wiederum die ihm zugefallene Homburg samt Umland als Erblehen an Gottfried von Sayn zurückgab. Damit ist die für die weitere Entwicklung der Herrschaft Homburgs entscheidende Situation eingetreten, dass diese fortan als reichsunmittelbar und damit dem Kaiser direkt unterstellt galt.

Als noch entscheidender für die weitere Entwicklung der Herrschaft von Homburg sollte sich das Kinderglück Gottfrieds erweisen. Jutta von Isenburg und Gottfried zeugten unter anderem zwei Söhne, welche später das Erbe antreten sollten. Als Gottfried 1284 starb, verwaltete seine Gemahlin die Güter für weitere zehn Jahre. 1294 entschloss sie sich schließlich dazu, die Ländereien an ihre beiden erbberechtigten Söhne weiterzugeben – Johann II. und Engelbert I.

Beide sollten zu Stammvätern zweier neuer Linien werden, die beide über Homburg herrschen sollten. Johann II. begründete die Linie der Grafen von Sayn-Sayn und Engelbert I. jene der Sayn-Homburg, später als Sayn-Wittgenstein bekannt.

1294 wurde folglich die Erbteilung vorgenommen. Als Erstgeborener des Gottfried erhielt Johann II. die Grafschaft Sayn und eine Hälfte von Homburg. Engelbert I. hingegen erhielt Vallendar und die andere Hälfte von Homburg. In dieser knappen Wiedergabe der Ereignisse mag der Ablauf frei von Querelen und Komplikationen erscheinen. An dieser Stelle sollte sich jedoch vergegenwärtigt werden, dass die beiden Brüder wegen des Erbes permanent im Streit miteinander lagen. Jutta von Isenburg starb 1316; seit spätestens 1294 musste sie wohl mit angesehen haben, wie ihre beiden Söhne sich wegen Land, Leute und Geld gestritten haben. In Kooperation mit einflussreichen Bekannten erarbeitete sie eine Kompromisslösung, die nach ihrem Tod in Kraft treten und sich bis ins Jahr 1604 auswirken sollte - die Teilung Homburgs.

Mittelalterliche Ländereien bestanden nicht nur aus Land und sich darauf befindlichen Objekten und Ortschaften, sondern auch aus den Menschen, die dort lebten und das Land bewirtschafteten. Die Bewohner der Herrschaft Homburg wurden in ihrer Gesamtzahl ebenfalls geteilt. Es lief bei der Teilung darauf hinaus, dass in Homburg zwei Herren wirkten, die jeweils eine Hälfte der Herrschaft besaßen. Es fand allerdings keine rigorose Trennung der Besitztümer statt, vielmehr wurde auf Kooperation gesetzt.

Der Umstand, dass Homburg über zwei Herren verfügte, war kein Unikum. Burgen wurden häufiger auf mehrere Erbberechtigte aufgeteilt, und so kam es des Öfteren vor, dass zwei oder mehr Herren eine Burg „besaßen“. Das daraus resultierende Konfliktpotenzial war den Rechtsgelehrten des Mittelalters bekannt, und so wurde 1294 für die Homburg ein Burgfrieden ausgehandelt.

Mit dem Begriff „Burgfrieden“ sind eine Vielzahl von Verträgen gemeint, welche präzise die Rechte und Pflichten der jeweiligen Burgherren benennen und klären. Die Rechte klärten beispielsweise, wer welchen Anteil von bestimmten Abgaben erhielt. Unter den Pflichten lassen sich Punkte wie zum Beispiel die Teilung der Kosten der Instandhaltung der Burganlage und der Verwaltung verstehen. Die Lösung für die Verwaltung in der Reichsherrschaft sah vor, dass jede Ortschaft über jeweils einen Vorsteher der entsprechenden Herrscherlinien verfügte. Johann II. begründete die Linie Sayn-Sayn, sein Bruder Engelbert I. die der späteren Sayn-Wittgenstein. Die Ortschaften innerhalb der Reichsherrschaft Homburg wurden folglich von jeweils einem Saynschen und einem Wittgensteinschen „Statthalter“ verwaltet. Diese Statthalter wurden von Johann und Engelbert und ihren jeweiligen Nachfahren bestimmt, aber auf den von beiden Burgherren bestimmten Burgfrieden vereidigt. Die Burgfriedensverträge waren essenziell für den Frieden innerhalb des Burgbereichs. Selbst wenn die Ganerben, die gemeinsamen Erben, untereinander in Fehde und Krieg lagen, durften diese Konflikte nicht im Territorium des unter den Burgfriedensverträgen festgelegten Bereich ausgetragen werden.

Damit fand sich ein funktionsfähiger und Jahrhunderte überdauernder Modus Operandi. Schwierigkeiten und Probleme für die Bewohner der Reichsherrschaft resultierten meistens aus dem Machtmissbrauch und der Selbstbereicherung einzelner Statthalter, die ihren Lohn mit inoffiziellen Steuern und Erpressung aufbesserten. Solche Statthalter, sofern sie von ihren Herren als problematisch wahrgenommen worden sind, konnten von beiden Burgherren problemlos abgesetzt und ausgetauscht werden.


Das Finale - Die Streitigkeiten zwischen Berg und Homburg spitzen sich zu

Das benachbarte Herzogtum Berg, bis 1380 eine Grafschaft, hegte ein starkes Interesse an der Herrschaft Homburg und versuchte immer wieder, sich diese einzuverleiben. Wenn in sagenhaften Darstellungen erzählt wird, wie Homburger Ritter und Kämpen in Eintracht mit ihren bergischen Nachbarn gegen ihre Feinde aus Köln zogen, mag dies durchaus von unterhaltsamem Charakter sein, mit historischer, auf Quellen basierender Faktentreue hat es jedoch weniger zu tun. Es ist viel eher davon auszugehen, dass die Homburger Herren Partei für die jeweiligen Feinde des Herzogtums Berg ergriffen haben. Wenn denn unbedingt gefochten und gekämpft werden musste, wie in der berühmten Schlacht von Worringen beispielsweise. Berg und Homburg vereinten folglich das stete Ringen um die territoriale Integrität und Souveränität des letztgenannten.

Um die Souveränität der Herrschaft zu bewahren, musste nach innen hin Frieden herrschen. Der weiter oben genannte Burgfrieden von 1294 erlebte im Laufe der Zeit immer wieder eine Neuauflage. So auch 1385, als die jeweiligen Herren der beiden Herrscherlinien zusammenkamen und erneuerte Burgfriedensverträge beschlossen und unterzeichneten. Etwaige Streitigkeiten unter den Herren sollten mit Hilfe von beratenden Freunden und Bekannten gütlich beigelegt werden. Wenn die Streitschlichtung in dieser ersten Instanz durch Weigerung einer Partei nicht zustande kam, standen weitere Mittel und Wege offen, um den brüderlichen Streit zu schlichten. Zum Beispiel das Einlager. Hierunter wird die Möglichkeit des Schuldners oder seines Bürgen verstanden, sich bei Vertragsbruch freiwillig an einen bestimmten Ort zu begeben und dort auf eigene Kosten die Schuld „abzusitzen“. Für die Herrschaft Homburg waren das die Orte Siegburg, Siegen und Attendorn. Wer das Einlager verlassen hatte, ohne seine Schuld komplett abgeleistet zu haben, der konnte dann ohne Urteil und Verfahren angegriffen werden und galt somit als vogelfrei. Zudem verlor er seine Ehre, was in diesen Jahrhunderten eine nicht zu unterschätzende „Währung“ der Politik und Wirtschaft gewesen sein dürfte.

Statthalter des Herzogtums Berg mischten sich immer häufiger in Belange Homburgs ein. Diese eindeutige Zurschaustellung von Macht und Einfluss zielte auf etwaige Gebietsgewinne auf Kosten der Reichsherrschaft ab und in der größtmöglichen Zielsetzung auf die Annexion der Reichsherrschaft Homburg. Ermöglicht wurden diese Einmischungen mittels der Zugehörigkeit der in und um Homburg lebenden Leibeigenen zum Herzogtum Berg. Dadurch, dass in manchen Gebieten das Gros der Leibeigenen zum Herzogtum Berg gehörten, aber auf dem Gebiet der Reichsherrschaft Homburg lebten, konnte das Herzogtum sich nach und nach die Gerichtshoheit über diese Menschen und damit de facto die Herrschaft in diesen Gebieten sichern. Die Ortschaft Wiehl stellt ein passendes Beispiel dar. Über die Hälfte der Einwohner waren Bergische Leibeigene, und so fiel es dem Herzogtum außerordentlich leicht, sich sukzessive entsprechende Rechte wie die oben genannte Gerichtshoheit und das Besteuerungsrecht über diese Menschen anzueignen. Eine weitere Konfliktebene war zum Ende des 15. Jahrhunderts die immer deutlicher zutage tretenden Streitigkeiten zwischen Katholiken und Protestanten. Wenn katholische Milizionäre in den Raum des protestantischen Nümbrecht eindrangen und dort wüteten, blieb den Homburger Machthabern nichts anderes übrig, als diese Vorfälle der Düsseldorfer Regierung zu melden, vereinzelte Vorfälle sogar bis zum Reichkammergericht zu tragen. Im Jahr 1600 fanden sich vor diesem höchsten aller Reichsgerichte über 20 Prozesse, die Verletzungen der Homburger Souveränität durch Aggressionen Bergs zum Gegenstand hatten. Wenngleich das Reichskammergericht in vielen Fällen eher zu Gunsten Homburgs urteilte, wussten die Juristen des Herzogtums Berg die endgültigen Urteile hinzuziehen oder in ihrer Wirksamkeit signifikant zu reduzieren. Dies hatte eine immer aufwendigere Verwaltung Homburgs zur Folge und betraf am gravierendsten die einfachen Menschen. Die in Homburg lebenden und arbeitenden Menschen konnten immer weniger mit ihren offiziell zu Berg gehörenden Nachbarn und Freunden interagieren. Der Handel untereinander wurde maßgeblich erschwert, Eheschließungen zwischen Homburgern und Bergischen waren fast nicht durchzuführen.

Ein prosperierendes und vielversprechendes Land war Homburg in diesem Zeitraum nicht mehr. Umso weniger verwunderlich, dass der hoch verschuldete Graf Heinrich von Sayn, einer der beiden „Teilhaber“ an der Reichsherrschaft Homburg um 1600, wenig Interesse an der Reichsherrschaft zeigte. Die Tatsache, dass Graf Heinrich von Sayn zudem ohne erbberechtigten Nachwuchs dastand, erleichterte ihm womöglich das Treffen der nachfolgend beschriebenen Entscheidung.

Als letzter männlicher Vertreter der von Johannes begründeten Sayn-Sayn-Linie hatte Graf Heinrich wenig Interesse an der Aufrechterhaltung eines gewissen Erbvermögens für potenzielle Nachfahren. Die hohen Schulden des Grafen taten ihr Übriges, und so veräußerte er in den letzten Jahren seines Lebens immer mehr Land. Darunter auch seine Hälfte an der Reichsherrschaft Homburg. Diese bot er 1603 klandestin und unter Missachtung der Burgfriedensverträge der Düsseldorfer Räteregierung zum Kauf an. Düsseldorfs Räteregierung ließ sich nicht zweimal bitten und griff zu. Der Herzog von Berg nutzte die Gunst der Stunde und besetzte daraufhin im vermeintlichen Auftrag Düsseldorfs das Schloss Homburg und ließ alle ehemals auf den Grafen von Sayn vereidigten Beamten auf sich vereidigen.

Von dieser Entwicklung völlig überrumpelt, legte Graf Ludwig von Wittgenstein Protest gegen diesen Handel ein. Schließlich wurde er weder über den Verkauf informiert noch konsultiert und sah die Burgfriedensverträge durch seinen Cousin verletzt an. Darüber hinaus verbot er seinen Beamten jegliche Zusammenarbeit mit den nun bergischen Verwaltern und Beamten, und der ohnehin schon fragile Verwaltungsapparat Homburgs kam völlig zum Erliegen.

Die Räteregierung in Düsseldorf ignorierte Ludwigs Protest völlig, und das Herzogtum Berg bemühte sich nicht um Streitschlichtung. Ihre Truppen wurden nicht abgezogen und Gesprächs- und Verhandlungsrunden nicht initiiert. Auf sich allein gestellt musste Graf Ludwig von seinem persönlichen Netzwerk und den religiösen Animositäten zwischen Katholiken und Protestanten Gebrauch machen. Binnen kürzester Zeit schmiedete er eine mächtige Koalition, die ihm beistehen sollte. Mehrere einflussreiche protestantische Regionalfürsten wie Prinz Moritz von Oranien und der pfälzische Kurfürst Friedrich IV., der später als Winterkönig traurige Berühmtheit erlangen sollte, agierten Seite an Seite mit bergischen Städten protestantischer Konfession und dem Grafen Ludwig von Wittgenstein gegen das Herzogtum Berg und die Düsseldorfer Räteregierung.


Der Siegburger Vergleich – Ein Neubeginn

Durch die Mobilisierung solch einflussreicher Mächte gelang es ihm, gütliche Vergleichsverhandlungen zu initiieren. Diese sollten 1604 in Siegburg stattfinden. Der Siegburger Vergleich von 1604 sollte klare Verhältnisse zwischen dem Herzogtum Berg und der Reichsherrschaft Homburg schaffen und die Jahrhunderte währende Institution der Doppelregierung beseitigen. Graf Heinrich erhielt für seinen Anteil an Homburg von seinem Cousin Graf Ludwig von Wittgenstein 36.000 Gulden. Damit einhergehend sein vollständiger Verzicht auf die Homburger Ländereien. Er starb am 17.01.1606, und mit ihm erlosch die männliche Linie der Sayn-Sayn. Faszinierenderweise hat erst sein eigenorientiertes Handeln dazu geführt, dass die Reichsherrschaft Homburg letzten Endes bis 1806 bestehen konnte.

Das Herzogtum Berg verzichtete im Rahmen des Siegburger Vergleichs unter anderem auf leib- und grundherrliche Rechte in den Gebieten Nümbrecht und Wiehl – beides Gebiete mit einer hohen Quote zu Berg gehörender Leibeigener. Damit zog sich Berg de facto aus diesen Gebieten zurück. Im Gegenzug erhielt es jedoch Waldbröl und Morsbach zugeschlagen. Das Territorium der Reichsherrschaft Homburg wurde zwar auf diesem Wege konsolidiert, jedoch massiv verkleinert. Um diese neue Entwicklung sichtbar zu machen, wurde im Rahmen der Verhandlungen ein Kölner Meister, Gerhard Schewen, mit einer besonderen Aufgabe betraut. Aus Trachytgestein vom Drachenfels sollte er 25 Steine anfertigen. Diese Steine sollten auf der einen Seite das Wappen des Herzogtums Berg und auf der anderen Seite jenes der Reichsherrschaft Homburg tragen. Daraus lässt sich bereits ihre Funktion erahnen. Diese berühmten 25 Grenzsteine markierten von 1604 an die im Siegburger Vergleich festgelegten und bis 1806 gültigen Grenzen zwischen Homburg und Berg. Der 2. Dezember des Jahres 1604 war ein Feiertag. An diesem Tag wurden die Hörigen ihren jeweiligen Herren zugeführt, und die Ortschaften auf beiden Seiten der Grenze feierten den neu gewonnenen Frieden. Dass 14 Jahre später der 30-jährige Krieg ausbrechen und auch in Homburg seine Spuren hinterlassen sollte, ist wiederum eine andere Geschichte.

(2022)


Literatur:

  • Althoff, Gerd: Spielregeln der Politik im Mittelalter. Kommunikation in Frieden und Fehde, 2. Aufl., Darmstadt 2014.
  • Barthelemy, Eric: Beiträge zur Geschichte der Herrschaft Homburg an der Mark. Mit einem Quellenanhang, 1. Aufl., Nümbrecht 1993.
  • Heckmann, Karl: Geschichte der ehemaligen Reichsherrschaft Homburg an der Mark. 1. Aufl., Bonn 1939.
  • Hüssen, Peter Wilhelm: Geschichte der ehemaligen reichsunmittelbaren Herrschaft Homburg an der Mark, bestehend aus den jetzigen Bürgermeistereien Nümbrecht, Marienberghausen, Wiehl und Drabenderhöhe. Von den ältesten Zeiten bis zu ihrer Vereinigung mit Preußen, 1. Aufl., Barmen 1870.