von Verena Hof-Freudenberg

…so titelt die Siegener Zeitung am 22. Juni 1893 anlässlich der Brandkatastrophe am 20. Juni, bei der der Großteil das 1400-Seelen-Dorfes Müsen abbrannte. Im Zuge des Brandes wurde die Kirche inklusive Geläut, die Schule, 51 Wohnhäuser und 17 Nebengebäude völlig zerstört. Einen Tag nach dem Brand gab es erste Spendenaufrufe im Siegerland und auch in den darauf folgenden Tagen wurde eine Spendenbitte in etlichen Zeitungen des Deutschen Reiches abgedruckt. Solche Spendenaufrufe nach Katastrophen waren scheinbar üblich, aber die überregionale Streuung der Spenden bis hin zu den Niederlanden und Österreich-Ungarn ist bemerkenswert, Es ist also davon auszugehen, dass die große Solidarität mit dem Müsener Bergbau und dem damals „weltweitberühmten Stahlberg“ in Verbindung steht. Bezeichnend ist auch, dass viele Spenden von Bergleuten eingingen.

Amtsmann Fuß aus dem Amt Stift Keppel schrieb am 24. Juni 1893 an den Landrat Keil in Siegen: „Euer pp. Verfehle ich nicht, gehorsamst zu berichten, daß am Dienstag, den 20, Juni d. J. Nachmittags zwischen 2 ¼ und 2 ½ Uhr in Müsen ein Brand ausgebrochen ist, durch welchen 51 Wohnhäuser mit Nebengebäuden sowie die Kirche und die Schule meist vollständig eingeäschert worden sind. …“ Todesopfer gab es keine, wie es die Siegener Zeitung zwei Tage nach der Brandkatastrophe berichten konnte, allerdings gab es mindestens zwei Schwerverletzte. In dem Artikel heißt es: „… Wie man uns erzählt, wollte der siebzehnjährige Emil Schreiber seine kranke Mutter aus dem brennenden Hause tragen, wurde aber unterwegs derartig von den Flammen überrascht, daß er am ganzen Körper bis zur Unkenntlichkeit verbrannt wurde und vor der Thür, die Mutter unversehrt im Arm, zusammenbrach. Ein Familienvater namens Friedrich Braun hatte das Unglück von brennenden Giebeltheilen befallen und hierdurch ebenfalls schwer verletzt zu werden. ….“

Darüber hinaus war ein erheblicher Sachschaden entstanden. Mit alten Flurkarten lässt sich feststellen, dass ein nicht unerheblicher Anteil der niedergebrannten Wohnhäuser Zwei- und Drei-Familien-Häuser waren, so dass mehr als siebzig Familien ihr Haus mitsamt dem Großteil all ihrer Habe verloren hatten. Zwar weiß Amtsmann Fuß weiter zu berichten: „…Sämtliche Gebäude sind bei der Westf. Provinzial-Feuersozietät versichert, jedoch hatten nur 6 Beschädigte ihr Mobiliar versichert.“. Dazu konnte die Siegener Zeitung am 24. Juni 1893 weiter berichten, „…daß den Brandbeschädigten alle Mobilien verbrannt sind, die zum allergrößten Theile deshalb nicht versichert waren, weil die Provinzial-Feuersozietät, bei welcher sämtliche abgebrannten Gebäude versichert waren, die Mobilien in Häusern mit Strohdächern, wie solche meistens das Feuer zerstört hat, nicht in Versicherung nehmen konnte.“

Tatsächlich handelte es sich bis auf wenige Ausnahmen in der Zeit bei den Bedachungen noch um Strohdächer, was sich aber nach der Brandkatastrophe im gesamten Ort ändern sollte.

Wie war es zu dem verheerenden Brand gekommen?

Es war im Sommer 1893 lange Zeit außergewöhnlich trocken gewesen und zusätzlich blies an diesem 20. Juni ein starker Wind aus Norden. Beim Backen flogen einige wenige Funken aus dem Schornstein der Bäckerei Schneider auf das Strohdach, was unter diesen Umständen sofort Feuer fing. So berichtet der Bäcker Ludwig Schneider in seiner Zeugenaussage vom 23. Juni 1893: „Vergangenen Dienstag, etwas nach 2 Uhr, that ich meinen Backofen voll Brod und nahm dasselbe nach 10 Minuten heraus, um es aufzufrischen. Nachdem ich das gethan und das Brod wieder in den Ofen befördert hatte, hörte ich den Ruf Feuer und stürzte sofort vors Haus. Hier gewahrte ich, daß die mit Stroh bedeckte Seite desselben, aus welcher der Backofenschornstein etwa 3 Meter emporragte, in Flammen stand. Ich legte sofort die Hausleiter an das brennende Dach, um das Feuer zu löschen. Bevor ich die Leiter besteigen konnte, war mir mein Nachbar Hartmann Pfeiffer zuvorgekommen, der mit einem wassergefüllten Eimer das Dach bestiegen hatte und zu löschen suchte. Bei der Arbeit muß die Leiter gerutscht sein, denn Pfeiffer fiel herunter und verletzte sich nicht unerheblich.“ Dabei lag der Grund für den Ausbruch nicht etwa an mangelnder Pflege der Feuerstätte. Amtsmann Fuß weist Landrat Kiel in seinem Bericht darauf hin: „Der Schornstein des Backofens war vor 14 Tagen durch den Bezirks-Schornsteinfeger gereinigt und befand sich nach der ausdrücklichen Erklärung des letzteren in gutem, an sich feuersicheren Zustande. Der Fehler in der Schornsteinanlage dürfte aber darin zu suchen sein, daß der Schornstein, welcher das Strohdach, zwar gehörig umschiefert, ungefähr in der Mitte der Dachfläche durchbrach, nicht aber die Dachfirst überragte, sodaß oben herausfliegende Funken direkt gegen das Dach getrieben werden konnten.“ Der starke Wind beförderte dann ganze Bündel des brennenden Strohs auf die benachbarten Gebäude, die ebenfalls sofort Feuer fingen. So berichtet der damalige Lehrer Kiel in der Müsener Schulchronik: „Es war im Jahr 1893 am 20. Juni nachmittags 2 Uhr als alle drei Klassen in der Schule versammelt waren, da ertönten Feuerrufe und nach wenigen Minuten standen viele Häuser in Flammen.“

Die Müsener Feuerwehr hatte keine Chance gegen den Brand anzukommen, da es nur eine Spritze gab, die mit Hand befüllt werden musste. Zwar hatte man weitere Feuerwehren aus Siegen, Krombach, Hilchenbach, Ernsdorf-Kreuztal, Kredenbach, Dahlbruch, Dillnhütten und Allenbach zur Hilfe gerufen und auch etliche Privatpersonen aus den benachbarten Orten halfen bei den Löscharbeiten, aber auch diese konnten trotz ihrer unermüdlichen Löschversuche kaum noch etwas retten. In dem großen Bericht der Siegener Zeitung vom 22. Juni 1893 heißt es: „Im Verlaufe von 20-25 Minuten fraßen die Flammen an über 50 Häusern und als endlich die Feuerwehren […] anrückten, konnte sich deren Thätigkeit nur noch darauf erstrecken, den Feuerherd thunlichst auf sich zu beschränken, damit es sich nicht auf die anderen Gebäude ausdehne […] Das Rettungswerk wurde natürlich eifrigst eingeleitet, namentlich auch unsere Siegener Wehr griff die Sache gleich in richtiger Weise an, doch gelang es nur wenige Sachen zu bergen. Die meisten Bewohner waren froh, daß sie sich selbst und die Ihrigen glücklich dem Flammenmeere entziehen konnten.“

Tatsächlich waren die Feuerlöschteiche im Ort durch die lange Hitze gerade bis etwa zur Hälfte gefüllt gewesen und trotz der vielen Feuerwehren mangelte es an Spritzen und Schläuchen.

Hauptsächlich war der Ortskern im Umkreis von etwa 150 Metern betroffen. Hier waren nahezu alle Wohn- und Nebengebäude abgebrannt. Ebenso brannte die neue Schule aus, die bereits aus Ziegelstein gebaut worden war. Doch zumindest das Erdgeschoss konnte innerhalb von vier Wochen wieder so weit hergerichtet werden, dass der Unterricht stattfinden konnte.

Auch die Kirche blieb nicht verschont. Sie brannte aus und nur einige Mauern blieben stehen. Das Geläut fiel aus dem Turm und zerschmolz in der Hitze zu einem Klumpen. Doch bereits ein Jahr später konnte der Gottesdienst, Dank vieler Spenden, wieder in der Kirche stattfinden. Aus dem Bronzeklumpen der alten Glocken goss am 30. November 1893 Rincker-Sinn ein neues Geläut. Die Inschrift auf der größten Glocke lautete: „Ehre sei Gott in der Höhe!“ und von dem damaligen Pastor Hackländer die Worte: „Durch Feuersglut zerstört, im Feuer neu entstanden, sing ich, Du Herr und Gott, Dein Lob in diesen Landen“. Auch ein Großteil des alten Turms blieb erhalten.

Umso erstaunlicher ist es, dass mitten im Feuerherd eine Scheune, nämlich „Hässe Schür“, die Katastrophe völlig unbeschadet überstanden hatte. Hierzu erzählen sich die Müsener noch heute eine Legende, wonach in einer kalten Nacht in den 1820iger Jahren Zigeuner im Ort vergeblich eine Unterkunft suchten. Lediglich der Gastwirt Johann Heinrich Hirschberg hatte Mitleid und stellte den Zigeunern seine Scheune zur Verfügung. Eine alte Zigeunerin bedankte sich mit den Worten, dass einmal das Dorf vom Feuer heimgesucht werde, diese Scheune aber verschont bleiben würde.

Am Sonntag den 25. Juni 1893 fand der Gottesdienst auf dem alten Friedhof bei den Trümmern der Kirche statt. Es waren „viele tausend“ Menschen aus der Umgebung zum Gottesdienst gekommen, die sich das Trümmerfeld, das der Brand hinterlassen hatte, ansehen wollten. Schon hier ergab die Kollekte „eine bedeutende Summe“.

Große Solidarität minderte die Not der Brandgeschädigten

Bereits am 22. Juni 1983 findet sich ein erster Spendenaufruf des Siegener Bürgermeisters Delius in der Siegener Zeitung: „Aus Anlaß des gestrigen großen Brandunglücks in Müsen ist für die Abgebrannten daselbst im Rathhause im unteren Stock vorerst eine Sammelstelle für Kleidungsstücke u. Mobilien errichtet und ergeht hiermit an die Bürgerschaft das Gesuchen, entbehrliche Kleider und sonstige Mobilien den armen Abgebrannten zuwenden zu wollen.“ Schon zwei Tage später ging eine große Menge gespendeter Kleider und Möbel nach Müsen, um die erste Not zu lindern.

Aber auch das Amt Keppel ließ in den darauffolgenden Tagen eine Spendenbitte sowohl in der Siegener Zeitung als auch in vielen weiteren Zeitungen im ganzen Deutschen Reich drucken, die ihre Wirkung nicht verfehlen solle:

„Aufruf.

Unser sonst so freundliches, uraltes Bergmannsdorf ist seit gestern ein rauchender Trümmerhaufen. Eine furchtbare Feuersbrunst hat in wenigen Stunden fast ein Drittel sämmtlicher Gebäude – mehr als 50 – bis auf den Grund in Asche gelegt. Auch Kirche und Schule sind ein Raub der Flammen geworden. Über 60 vorwiegend dem Arbeiterstande angehörende Familien sind obdachlos und in bitterster Noth. Das Feuer griff mit solcher gewaltigen Schnelligkeit um sich, daß die Meisten sich darauf beschränken mußten, das nackte Leben zu retten oder ihre alten kranken Angehörigen sicher zu bergen, im Übrigen aber Hab und Gut den Flammen preiszugeben. Fast alles ist verbrannt: Möbel, Betten, Kleider, Kartoffeln und nur sehr wenig gerettet. Dazu waren die Sachen nur zum geringsten Theile versichert.

Unser Dorf ist arm; mit banger Sorge sahen wir wegen des Niedergangs unserer Bergindustrie und der überaus trüben Ernteaussichten in die Zukunft – nun ist die Noth erst schrecklich! Es fehlt am Allernothwendigsten.

Alle, die Gott der Herr vor solcher Noth bewahrt hat und die sich eines eigenen Heims und ungestörten Glückes erfreuen dürfen, und Alle, die – vielleicht aus eigener Erfahrung – unsere große Noth ermessen und mitfühlen, bitten die Unterzeichneten herzlich und dringend um freundliche Darreichung von Geldmitteln, Kleidungsstücken, Bettzeug und Allem, was zur Linderung unserer Bedrängnis beitragen kann.

[…]

Geheimer Bergrath Schmidt. Direktor Schmidt. W. Schmidt III.

Amtmann Fuß. Gemeindevorsteher Schür. Pastor Hackländer.“

Auf diesen Spendenaufruf hin gingen Geldspenden aus dem gesamten Deutschen Reich, zumeist Postanweisungen, bei Amtsmann Fuß ein. Darunter finden sich hohe Beträge von der ortsansässigen Grube Stahlberg, der Aktiengesellschaft Cöln-Müsen, der Firma Dressler, Kreuztal, der Familie Klein, Dahlbruch und eine große Menge kleiner und kleinster Spenden von Privatpersonen, die aber ein großes Opfer für diese bedeutete. Sogar aus den Niederlanden und Österreich-Ungarn wurden einzelne Spenden aufgeführt.

Alle Zuwendungen wurden mit Namen, Herkunftsort und Betrag von Amtsmann Fuß aufgelistet. Sowohl diese Liste als auch sämtlich Postanweisungen und Belege finden sich neben den Zeugenaussagen, dem Spendenaufruf und einiger Antwortschreiben der Zeitungen in der Acta spec. betr. den Brand zu Müsen im Hilchenbacher Archiv. Ebenso sind hier der Bericht des Amtsmann Fuß an den Landrat Keil in Siegen, ein vergebliches Hilfegesuch an den Kaiser und Wiederaufbauplänen des Ortes abgelegt.

Da Spendenaufrufe nach solchen Katastrophen scheinbar nicht unüblich waren, die regionale Streuung der Spenden aber ungewöhnlich erscheint, kann man davon ausgehen, dass die große Solidarität mit dem Müsener Bergbau und dem damals „weltweitberühmten Stahlberg“ in Verbindung steht. Ein Beleg hierfür sind ein paar Briefe mit Spenden, die von Bergleuten oder deren Angehörigen stammen, die Ihre Ausbildung oder einen Teil ihres beruflichen Werdegangs in Müsen verbrachten. Immer wieder finden sich in Briefen und auf Postkarten Formulierungen, wie etwa „das Mekka der Bergleute“ oder es wird Bezug auf den „weltberühmten Stahlberg“ und die „Martinshardt“ genommen.

Die Spenden reichten zwar bei weitem nicht dafür aus, das Geschehene ungeschehen zu machen und die Not blieb weiterhin groß, aber dennoch war es eine große Hilfe, ohne die die Menschen im Ort vermutlich kaum wieder hätten Fuß fassen können.

Nach dem Brand änderte sich das Gesicht des Müsener Ortkerns völlig: Straßen wurden neu angelegt, Grundstücke neu eingeteilt oder getauscht und es entstand ein zentrales Wassersystem. Außerdem verschwanden auch die Strohdächer von den Häusern, die nicht abgebrannt waren. Die Häuser, die neu errichtet werden mussten, bekamen den derzeitigen Normen entsprechend höhere Decken und erhielten ein moderneres Antlitz. Manche Gebäude wurden dem aktuellen Trend folgend sogar aus Ziegelstein erbaut, aber auch das Fachwerk der regional üblichen Fachwerkhäuser war schnörkelloser und geradliniger wiedererichtet worden als es bei den älteren Gebäuden der Fall gewesen ist. Durch diese veränderte Bauart lässt sich heute noch an den Gebäuden erkennen, wo der Brand Ende des 19. Jahrhunderts gewütet hat und welche Teile des Dorfs nicht betroffen waren.