von Nadine von Krippendorf

Vielen Dank

Um den Bau der Obernautalsperre überhaupt möglich zu machen, mussten die

Orte Obernau und Nauholz ganz und Brauersdorf teilweise mit insgesamt

365 Bürgern ausgesiedelt werden. Die Heimat aufzugeben, ist nicht einfach.

Das wissen wir. Doch damit wurde die Grundlage gelegt für Trinkwassersicherheit

in der Region. Wir sagen stellvertretend für 300.000 Menschen

„vielen Dank“ an die Betroffenen.

Dies ist das Einzige, was seitens des Wasserverbandes an die einstigen Bewohner von Nauholz, Obernau und dem Obertal von Brauersdorf erinnert. In den Augen der Menschen, die dort ihre Heimat zum Wohl anderer verlassen mussten, ist es eher ein schwacher Trost.

Erste Gerüchte um den Bau einer Talsperre gab es laut Zeitzeugen bereits in den 40er Jahren, und schon vor dem Krieg stand im Obertal von Brauersdorf ein Wasserhäuschen, in dem der Wasserstand gemessen wurde, um die Eignung als Talsperren-Gebiet abzuschätzen. Während des Krieges wurde das Projekt dann erst einmal beiseite gelegt. Auch war die finanzielle Lage nicht so gut, weshalb bis 1959 kein weiterer Beschluss gefasst wurde. Das Trockenjahr `59 brachte dann die Entscheidung. Die Breitenbach-Talsperre reichte nicht mehr aus, um die Trinkwasserversorgung sicherzustellen. Sie war in der Zeit von 1953-1956 gebaut worden und bis dahin für die Trinkwasserversorgung der Region zuständig, ergänzt durch die Nebenflüsse der Sieg. Eine neue Talsperre musste gebaut werden, und sie sollte auf dem Gebiet der Dörfer Nauholz, Obernau und Brauersdorf errichtet werden.

Schnell wurde klar, dass ein großer Teil der dort lebenden Bevölkerung ihr Hab und Gut an den Wasserverband abtreten bzw. verkaufen und woanders ein neues Leben aufbauen musste. Doch war zu Anfang nicht genau klar, wie weit sich das Einzugsgebiet der Obernautalsperre ausdehnen würde. So hatten die Menschen in Nauholz und im Gebiet von Brauersdorf, welches kurz vor der heutigen Staumauer liegt und auf dem jetzt das Wasserentnahmehaus steht, lange Zeit gedacht, sie würden vom Bau und der Umsiedlung verschont bleiben.

Im Gegensatz zu Obernau und dem Obertal von Brauersdorf lag Nauholz nämlich außerhalb des geplanten Wassergebiets. Aufgrund der Auflagen für Trinkwassertalsperren mussten die Dorfbewohner der Talsperre weichen, da das Dorf im erweiterten Einzugsbereich der Talsperre lag. Durch die weitere Nutzung des Dorfes und der zugehörigen Landwirtschaft hätte es der Trinkwasserqualität abträglich sein können. So musste letztendlich auch Nauholz dem Bauprojekt weichen.

Für die meisten Bewohner der drei Dörfer war dies alles keine leichte Sache. Der Wasserverband kaufte die Grundstücke der Dorfbewohner nach und nach alle auf, wobei sich die Entschädigung bzw. der Kaufpreis auf die Anzahl der Quadrat- und Raummeter bezog. Ob ein Haus alt oder neu war, spielte keine Rolle. Dabei verstand der Verband es auch gut, Misstrauen unter den Bewohnern zu schaffen. So ging man damals von Haus zu Haus und machte mit jedem Hausbesitzer einen eigenen Vertrag über den Preis eines Quadratmeters. Die Preise des jeweiligen Hauses und Grundstückes waren demnach Verhandlungssache. Die Dorfbewohner wussten somit auch nicht, was der Nachbar für sein Grundstück bekam - und dadurch wuchs das Misstrauen untereinander. Damit stellte der Wasserverband sicher, dass es zu keinen größeren Protest- oder Demonstrationsaktionen kam. Für die meisten war diese Art der Verhandlung kein gutes Geschäft, einige machten dabei Verluste. Für ein paar wenige war es jedoch ein Glücksfall, waren ihre Häuser doch eher alt und nicht mehr auf dem neuesten Stand.

Allgemein lässt sich sagen, dass sich der Wasserverband und die Gemeinde nicht genügend um die Aussiedler gekümmert haben, sondern nur eigene Interessen verfolgt haben. So wurde berichtet, dass die Dorfgemeinschaft durch die misstrauenschaffenden Einzelverhandlungen Risse erhielt, und während diese noch liefen, wurde sogar schon angefangen, für den geplanten Staudamm auszuschachten. Das gesamte Material wurde oberhalb von Brauersdorf angefahren, weshalb der Schlamm Zentimeter über der Straße stand. Damit machte man die Bewohner mürbe. Außerdem mussten sich die Aussiedler selber um ein neues Grundstück bemühen, da ihnen von Seiten der Gemeinde und des Wasserverbandes keine Bauplätze angeboten wurden. Des Weiteren ließ sich der Wasserverband groß feiern, während die ausgesiedelten Bewohner nicht einmal zu den Festlichkeiten eingeladen wurden.

Nachdem der Wasserverband schließlich alles aufgekauft hatte, begann die für die Bewohner emotionalste und schwierigste Zeit: Die Häuser wurden verbrannt und abgebrochen. Für alle war es eine sehr traurige Angelegenheit, doch für die Älteren, so wurde mir von Zeitzeugen berichtet, war es noch schlimmer als für die Jüngeren. „Einen alten Baum versetzt man nicht“ – nicht nur, dass die Menschen woanders neu siedeln mussten, sie mussten vor allem mit ansehen, wie ihre Heimat, ihr früheres Leben, in Flammen aufging und abgerissen wurde. Manche waren in den Häusern, die nun nur noch Schutt und Asche waren, geboren worden. Wiederum andere hatten ihre Häuser noch vor kurzem renoviert oder neu angebaut. Es sind damals viele Tränen geflossen, und dies war auch während des Interviews mit den Zeitzeugen deutlich zu spüren. Noch heute sitzt der Schmerz über den Verlust der Heimat tief in den Betroffenen. Darüber zu reden fällt ihnen nicht leicht und wühlt alte Gedanken und Gefühle neu auf.

Nach der Umsiedlung in die neuen Häuser blieben die ehemaligen Bewohner von Nauholz, Obernau und dem Obertal von Brauersdorf dennoch sehr eng mit den verschwundenen Dörfern verbunden. Denn dies war und wird immer die Heimat dieser Menschen bleiben, dort haben sie ihre Kindheit und Jugend verbracht. Für die meisten hat sich sonst nicht allzu viel geändert. Fast alle waren nur nebenerwerblich in der Landwirtschaft tätig und gingen nach der Umsiedlung weiterhin ihren Haupt-Berufen nach. Auch die Nachbarschaft änderte sich nicht besonders, da man meistens, wenn auch nicht mit dem gesamten Dorf, mit ehemaligen Nachbarn neu ansiedelte.

Hinter dem Projekt „Obernautalsperre“ steckt also eine bewegende Geschichte von 365 Einzelschicksalen, was den Besuchern der Talsperre leider viel zu wenig bewusst gemacht wird. Durch fünf kurze Sätze auf einer Informationstafel rund um die Wasserversorgung des Siegerlandes ist es nicht getan. Eine eigene große Tafel mit Bildern und Fakten zu den drei verschwundenen Dörfern wäre das Mindeste, was seitens des Wasserverbandes und der Gemeinde heute im Nachhinein getan werden sollte um an diese drei Dörfer, ihre Geschichte und ihre Einwohner zu erinnern und ihnen den Platz zu geben, der ihnen zu steht.