von Melina Müller

In ihrer Heimat sind sie nicht unbekannt und sie gelten als die Maskottchen des Siegerlandes, die Rede ist von den Dilldappen. Man trifft sie quasi überall, auf den Straßenschildern gegenüber dem Studentenwohnheim in Weidenau, an Weihnachtsmarkthütten oder auf ihrem eigenen Wanderweg in Hainchen.

Ich, als zugezogene Siegenerin, hatte bis vor einiger Zeit selbst keine Ahnung von diesen kleinen Fabelwesen und bin nur zufällig im Internet in einen kleinen Absatz auf der Siegener Wikipediaseite auf die Dilldappen gestoßen. Also machte ich mich daran, mehr über diese seltsamen Lebewesen herauszufinden, die mich durch ihre Einzigartigkeit faszinierten.

Meine Suche begann zuerst im Internet, wo auch sonst in der heutigen Zeit. Schnell stellte sich mir ein klares Bild zusammen: Der Sage nach lebten sie schon immer in den Bergen des Siegerlandes und mopsen seit jeher den Bauern die Kartoffeln vom Feld. Den Menschen gegenüber sind sie scheu, dafür sind sie jedoch umso herzlicher in ihren großen, sehr familiären Herden, in denen die bis zu fünfzig Zentimeter großen Tiere leben. Da sie sich Menschen gegenüber niemals zeigen, kann ich über ihr Aussehen an dieser Stelle nur spekulieren. Beschrieben werden sie oft als „Nashornhamster“. Tatsächlich existieren jedoch trotzdem viele Zeichnungen der kleinen Wesen, die heutzutage noch gemalt werden und so weiterleben können.

Das klang für mich schon nach einer Menge Informationen. Ich fand auf diversen Seiten auch Hinweise auf viele Menschen, die sich die Arbeit machen, die Sagen um die außerhalb des Siegerlandes doch recht unbekannten Fabelwesen am Leben zu erhalten. Einer von ihnen ist Matthias Kringe. Sein ganzes Leben verbrachte er nahe der Stadt Siegen. Heute führt er von hier aus den Dilldappen-Verlag und hat sich selbst zur Aufgabe gemacht, jedes Jahr neue Comics aus dem Leben der kleinen Kreaturen in seinen Kalendern zu veröffentlichen.

Hier war mein nächster Ansatzpunkt. Ich nahm Kontakt mit ihm auf und er war zu meiner großen Freude bereit, mir ein Interview zu geben, das mir helfen sollte, die kleinen Fabelwesen des Siegerlandes und seine Arbeit um die Dilldappen noch besser zu verstehen.

Herr Kringe, wann haben Sie zum ersten Mal von den Dilldappen gehört?bild kringe klein

Was wurde Ihnen über die Dilldappen erzählt?

Ich war im Grundschulalter, da hat mir mein Großvater zum ersten Mal über die Dilldappen erzählt. Seine Aufgabe war es damals, die Wildfutterstellen im Winter mit frischen Zuckerrübenschnitzeln aufzufüllen. Auf diesen Wanderungen durch die verschneiten Wälder habe ich ihn begleitet. Hier und da fanden sich dann auch seltsame Spuren im Schnee oder Löcher im Waldboden, die mein Großvater mit den geheimnisvollen Dilldappen in Verbindung brachte. Ich fragte ihn, wie denn diese Dilldappen aussähen, worauf er antwortete, dass sie vier Beine und Haare hätten. Außerdem bauten sie Nester. Ob sie dann auch Eier legen würden? Meine Phantasie war geweckt!

Inwiefern haben Sie sich bereits in der Uni mit den Dilldappen beschäftigt?

Ich begann im WS 1982 mein Studium, zunächst Lehramt Deutsch und Religion. In den linguistischen Nachschlagewerken zu deutschen Mundarten, sog. Idiotika, und in der Mythologie der Brüder Grimm fand ich dann erste gedruckte Hinweise auf „Dilldappen“ und ihren Varianten aus anderen Mundarten. Durch etymologische Vergleiche fand ich heraus, dass sich „Dilldappe“ und die Varianten „Delbetritsch“, „Dideldapp“, „Dürlendapp“, „Dilwedatsch“, „Delwetritsch“ und „Elbetritsch“ auf die altdeutsche Urform „Der Elbentappe“ zurückführen ließen, was „elbisches Zauberwesen“ bedeutet.

Wie kam Ihnen die Idee zum Dilldappenkalender? Und wann entstand daraus die Option, einen ganzen Verlag darauf zu gründen?

Die Idee, einen Kalender mit Comics in Siegerländer Platt und mit zoologischen Forschungsergebnissen herauszubringen, hatte ich ebenfalls im Herbst 1982. Irgendwo fand ich in meinen Unterlagen Skizzen der Dilldappen, die ca. 1978 entstanden waren und begann, einseitige, schwarz-weiße Comicgeschichten zu zeichnen. Zunächst wollte ich nur ein paar Kopien lochen und heften lassen, um ein Weihnachtsgeschenk für Familie und Freunde zu haben. Aus Gründen der Kostenersparnis schlug mir die Druckerei vor, 200 Exemplare drucken zu lassen. 100 musste ich verkaufen, um die Druckkosten wieder hereinzubekommen. Werbung dafür machte die Westfalenpost, für die ich kurze Zeit zuvor schon Karikaturen angefertigt hatte, und innerhalb kurzer Zeit war die erste Auflage vergriffen. Ich zog mit weiteren Auflagen nach und konnte bis Weihnachten über 3000 Exemplare verkaufen.
Das war eine große Überraschung für mich. Geplant und erwartet hatte ich diesen Erfolg nicht. Aber offenbar hatte ich mit diesen Comicgeschichten einen Nerv des Siegerländer Publikums getroffen.

Ihr erster Kalender entstand 1982, inwieweit haben sich die Figuren seither verändert? Oder sind sie vom Zeichenstil her gleich geblieben?

Wie bei jeder Comicfigur (vgl. Asterix, Donald Duck etc.) kann man auch bei den Dilldappen eine künstlerische Entwicklung beobachten. Zunächst wurden die Figuren runder und dynamischer, dann in den letzten Jahren größer, die Gliedmaßen dünner. Und es entstanden aus den Standarddilldappen viele individuelle Persönlichkeiten.

Dilldappen sind in vielen Ihrer Comics Satirefiguren zur menschlichen Gesellschaft. Worüber haben sich die Dilldappen denn 1982 aufgeregt?

gummibanddappe

In den frühen 80er Jahren war natürlich die Umweltbewegung ein starkes Thema, das unsere Studentengeneration geprägt hat. Daher sind besonders in den ersten Jahren verstärkt Umweltthemen in den Kalender eingeflossen.
In den folgenden Jahren waren es dann zusätzlich auch gesellschaftliche Themen, wie etwa die Entwicklung auf dem Medien- und Kommunikationssektor (Handys!!), die dann im Kalender wiederentdeckt werden konnten.

Im Internet kann man ja einiges über Dilldappen lesen. Wieviel davon stammt tatsächlich von Ihnen? Entspringen die Details alle Ihrer Fantasie?

Das meiste, das vom Siegerländer Dilldappen im Internet verbreitet wird, ist ja aus meinen eigenen Quellen kopiert. Die Details zu der Zoologie entstammen zum Teil der Phantasie, zum Teil sind sie aber auch logische Schlussfolgerungen, die sich aus einer Grundannahme heraus ergeben. Wenn Dilldappen z.B. Haare und Fell haben, aber Eier legen, gehören sie zu der Klasse der Monotremata, der eierlegenden Säugetiere und sind somit verwandt mit Schnabeltier und Schnabeligel. Daher besitzen sie wie diese auch keine Zähne, sondern zerkleinern ihre Nahrung mit einer verhornten Raspelzunge.

Können Sie eine (ungefähre) Zahl nennen, wie viele verschiedene Dilldappen sie schon zum Leben erweckt haben?

Insgesamt sind es 30 bis 40 unterschiedliche Charaktere, die im Laufe der Jahre im Kalender vorgestellt wurden.

 omma

Gibt es einen Lieblingsdilldapp, der öfter in Ihren Zeichnungen oder Comics auftaucht?

Gerne zeichne ich den Laamesoedr, einen arbeitsscheuen, träumerischen Müßiggänger und die resolute Omma. Auch die unterschiedlichen Kinder zeichne ich gerne, da sie alle sehr interessante Persönlichkeiten haben, die immer wieder neue Geschichtenideen liefern.

Im Herbst 2006 wurde der Dilldappenwanderweg in Hainchen eröffnet. Hatten Sie etwas mit der Idee oder der Durchführung zu tun?


Die Idee dazu kam aus Hainchen und dem Kulturbüro der Stadt Netphen. Meine Aufgabe war die Bestückung der Schaukästen mit Exponaten und Infotafeln.

 

Haben Sie die Dilldappenschilder am Studentenwohnheim Engsbachstraße in Weidenau entworfen?

Die Schilder entstanden Anfang der 90er Jahre im Auftrag von Umweltamt und Entsorgungsbetrieb der Stadt Siegen. Seither ist der Lälles, der Stadtdappe, als Umwelt-Engel unterwegs.

Sie haben einen Entwurf eines neuen Wappens für Herzhausen mit einem Dilldapp gezeichnet, wie sind Sie darauf gekommen? Wieso wurde die Idee nicht in die Tat umgesetzt?

Die Ortseinfahrt von Herzhausen ziert schon ein überlebensgroßer Dilldappe, der die Durchfahrenden begrüßt und am anderen Ende wieder verabschiedet.
Das Wappen sollte dann andere, eher historische Symbole beinhalten.

Mit all diesen Informationen setzte ich mich also ins Auto und fuhr von Siegen aus nach Hainchen. Schon auf der halbstündigen Autofahrt hatte ich das Gefühl, Herrn Kringes Schilderungen absolut nachvollziehen zu können. Mein Weg führte mich durch schneebedeckte Wälder, und ich muss sagen, dass ich mir gut vorstellen konnte, hier bei einem Spaziergang dem ein oder anderen geheimnisvollen Dilldapp zu begegnen. In Hainchen selbst lag während meines Ausflugs sehr viel Schnee, sodass ich mich beim Vorbeifahren fragte, ob nicht die ein oder andere Spur von einem Dilldapp stammte, den es vielleicht, genau wie mich, in diese Gegend verschlagen hatte. Erst auf dem Kirchvorplatz hatte ich dann das Glück, einem waschechten Dilldapp gegenüber zu stehen, obwohl er sich unter einer 10 Zentimeter dicken Schneeschicht versteckt hatte. Das freundliche Kerlchen lachte mich glücklich an, als ich ihn davon befreite.

Ich denke, auch wenn ich mit meinen eigenen Augen keinen lebendigen Dilldapp gesehen habe, war meine Suche definitiv erfolgreich und hat mir viel Spaß gemacht. Und wer weiß, wenn ich nicht aufgebe und mit offenen Augen spazieren gehe, habe ich immer noch die Chance, im Siegener Wald einem kleinen Dilldapp zu begegnen.

(2017)