Buna Ziua oder Guten Tag?

von Jan Weber

Das ist noch in mir und in uns, das wird man niemals verwerfen, aber wir sind hier und sind glücklich...", antwortete mein Großvater unter anderem auf die Frage, wo seine Heimat sei. Wann und von wem werden wir heute noch gefragt, wo unsere Heimat ist? Vielleicht im Urlaub von Menschen, die uns vorher noch nie gesehen haben, denn von Freunden und Nachbarn bestimmt nicht. Aber wenn ich meinem 84-jährigen Großvater die Frage stelle, wo denn seine Heimat für ihn ist, obwohl er im Haus quer gegenüber wohnt, dann fragt man sich als Außenstehender zurecht, wieso das notwendig zu sein scheint.

Opa Weber jungEr kam 1973 im Alter von 39 Jahren mit seiner Familie aus dem nordsiebenbürgischen Bistritz in der Nähe der Stadt Cluj in Rumänien nach Gummersbach ins schöne Oberbergische. Im Folgenden könnt ihr an einem Interview zwischen meinem Großvater väterlicherseits und mir teilhaben. Eine ähnliche Herangehensweise und Niederschrift über die Beweggründe, weshalb meine Familie von Rumänien aus ins Oberbergische umgesiedelt ist, hat es bislang nicht gegeben, und es macht mich stolz, diese Vergangenheit zu hinterfragen. Was hinter der Reise ins neue, ins Ungewisse gesteckt hat, werdet ihr auf den folgenden Seiten erfahren.

Jan Weber



Interview

Jan: Was hat dich bewogen, Rumänien zu verlassen?

Großvater: Es war so, dass 1954 die Kriegsgefangenen aus Russland wieder nach Hause kamen und sie keine Verwandten mehr angetroffen haben. Diese sind nach Deutschland, Österreich und sogar nach Kanada gegangen. Zuerst sind die Juden nach Rumänien zurückgekehrt und dann unsere Leute. Unsere Verwandten sind somit überall verteilt worden. Uns hat nichts mehr dort gehalten, weil wir nach der Flucht vor dem Krieg keinen Grundbesitz mehr hatten. Die Rumänen behandelten uns aber gut, wobei die Juden distanzierter von uns waren. Während der Flucht haben wir uns in Österreich aufgehalten, und als wir zurückkamen, war das Dorf wie leer gefegt. Lediglich vier Familien sind dort geblieben. Nach ein paar Jahren haben wir unsere Häuser dann doch wiederbekommen, die waren besetzt und mussten dann auch wieder repariert werden, damit wir wieder dort leben konnten.1 Die Sache, dass wir nach dem Krieg im Dorf nicht mehr vollzählig gewesen sind, hat auch dazu geführt, dass es keine deutschen Schulen mehr gegeben hat. Man hat uns alles weggenommen. Von den Landwirten und den Weinbergbesitzern bekamen wir Arbeit, sodass wir einigermaßen leben konnten. Wir bekamen Besuch von denen, die nach dem Krieg in Deutschland und Österreich geblieben sind, und Sie luden uns ein und riefen uns quasi auf, ihnen zu folgen. Mit den Einladungen konnten wir uns in Deutschland melden. Der Cousin meines Vaters lebte inzwischen bei Aachen und sandte uns eine Einladung nachzukommen. Mit dieser durfte man dann in Deutschland einreisen. Weil dann viele auf einmal kamen, musste man es mehrmals versuchen. Wäre der Krieg nicht gewesen, dann wären wir bestimmt in Rumänien geblieben. Die geschlossenen siebenbürgischen Dörfer waren eine feine Angelegenheit. Na ja, ich freute mich natürlich, zu meinen Verwandten zu stoßen und wurde herzlich von ihnen aufgenommen und erwartet.

Jan: Wie hat sich die Reise ins Oberbergische gestaltet?

Großvater: Deine Großmutter und ich wollten in Nürnberg bleiben, da wir da auch Verwandte haben, aber ihre Mutter und ihr Bruder waren schon in Nordrhein-Westfahlen, in Gummersbach, und so wollten wir dann auch hierher kommen. Jemand von der Verwaltung hier sagte, wir bekommen in Gummersbach eine Wohnung, und man half uns, einen Arbeitsplatz zu bekommen und ebenso gab man uns ein Begrüßungsgeld um einen Anfang machen zu können. In Rumänien packten wir unsere Kleider in eine Kiste und teilweise haben Verwandte Sachen mitgenommen nach Deutschland. Wir haben uns nach Bukarest in die Hauptstadt aufgemacht und das Flugzeug nach Frankfurt am Main genommen. Von da aus fuhr man uns mit dem Bus nach Nürnberg zu der Aufnahmestelle. Da konnte man uns nicht behalten, denn die Lager waren voll. Somit sind wir zu unseren Verwandten hierhin gekommen. Drei Jahre vor uns waren die Mutter und der Bruder meiner Frau bereits hier. Im Sommer 1973 waren wir dann auch hier.

Haus Oma

Haus OpaJan: Ab wann habt ihr euch wohl gefühlt im Oberbergischen?

Großvater: Irgendwie hat es schon ein bisschen gedauert, weil wir aus einer anderen Welt gekommen sind, und es war uns deshalb ein bisschen peinlich. Aber wir haben uns langsam daran gewöhnt und Arbeit bekommen, sodass wir etwas Geld in der Hand hatten. Man hat uns deutlich gemacht, dass wir Deutsch lernen sollten, aber wir hatten ja bereits ein bisschen in der Schule gelernt. Durch die Arbeitsplätze fühlten wir uns wohler und konnten nach drei Jahren hier anfangen, unser eigenes Haus zu bauen. Dadurch, dass ich Zimmermann war, konnte ich viel alleine an dem Haus arbeiten, was Geld gespart hat. 1977 haben wir das Haus fertig gebaut und sind eingezogen.2 Aus dem Block ins eigene Heim, das nur uns gehört hat. Unsere zwei Jungs durften hier in die Schule und auch studieren und somit haben wir uns auch wohl gefühlt. In Rumänien waren wir es gewohnt, lange anzustehen, um Dinge wie Mehl oder Öl zu kaufen, und hier freuten wir uns darüber, diese jeden Tag kaufen zu können. Zuerst haben wir den Wagen vollgemacht mit Orangen, denn die gab es fast nie in Rumänien. Bis man uns sagte, wir sollten nicht zu viel kaufen, denn die gibt es auch morgen noch.

Jan: Wie konntest du hier Bekanntschaften schließen?

Großvater: Ja, durch die Arbeit vor allem. Auf dem Bau hat man sich einfach nicht mehr gesiezt, sondern direkt Du gesagt. Zum Eigentümer nicht, aber zu allen anderen, und so kam man ins Gespräch.

Jan: Hast du Kontakt zu anderen Rückkehrern, die auch im Oberbergischen leben?

Haus Gummersbach

Großvater: Ja sicher. Abgesehen von meinen Verwandten im Süden und denen bei Aachen habe ich noch einige Cousins in der Nähe. Die Kinder waren ja in der Schule und viele andere Kinder kamen auch aus Rumänien und so kamen wir mit deren Eltern in Kontakt. Anfangs haben wir ja in einem Block gewohnt, und dort waren viele weitere Rückkehrer mit uns. Durch die Bräuche wie die Kirchgänge sind wir uns auch vermehrt begegnet.

Jan: Habt ihr Bräuche und Traditionen aus dem rumänischen mitgebracht?

Großvater: Ja, haben wir, also unsere alten deutschen Bräuche. Zu Ostern ist es traditionell, dass man bei uns die Mädels mit Parfüm bespritzt oder begießt, und so standen wir in Kontakt zu den anderen. Wir sind in die evangelische Kirchengemeinde mit eingeschlossen und wir haben dieselben Lieder gesungen, die wir auch kannten. Unsere Art zu kochen haben wir auch aus Rumänien mitgebracht. Jeden Tag eine selbstgemachte Suppe und ab und zu auch selbstgemachte Wurst gehören dazu. Und das viele backen von Kuchen natürlich auch. Es gab dort für uns nicht so viel Fleisch, und deshalb gaben wir uns oft mit Brot und Kartoffelsuppe zufrieden und machten hier genauso weiter. An Weihnachten singen wir dieselben Lieder, und mein Bibelkreis hat mir viel Kontakt und Austausch ermöglicht. Trotzdem ist die alte Heimat im Herzen geblieben. Wir besuchen hier Treffen der Landsmannschaft, die uns an frühere Tanzunterhaltungen in Rumänien erinnern. Nach dem Krieg saßen wir trotzdem in einem Haus zusammen und haben aus der Bibel gelesen und uns gefühlt, als wären wir im Gottesdienst. Die Frauen haben sich mit dem Weben beschäftigt, und heute kümmert sich deine Oma immer noch selber darum, die Kleider zu flicken. Wir haben einmal einen Brief3 von der Cousine meiner Frau bekommen, in dem sie eine typische Silvesternacht in Rumänien beschreibt und sagt, was zur Mitternacht vor sich gegangen ist. Wir haben da unsere Lieder gesungen und wurden auch nicht beschimpft von den Rumänen, denn wir haben uns die Kirche mit Ihnen geteilt.

SilvesterbriefJan: Stehst du heute noch in Kontakt zu Personen in Rumänien?

Großvater: Ja, durch Briefe, durch Telefonate und vor kurzem hat eine Bekannte angerufen und sagte uns, wir sollen sie wieder besuchen kommen. Sie sagte, dass sie froh ist, uns kennengelernt zu haben. Wir tauschen einige Briefe mit alten Nachbarn von uns aus, die neben uns im selben Dorf gewohnt haben und die heute noch dort wohnen, meistens an Feiertagen und zu Geburtstagen, aber auch zwischendurch einmal. Direkte Verwandte haben wir heute nicht mehr in Rumänien, da sie alle nach dem Krieg das Land verlassen haben. Uns kam zu Ohren, dass uns Deutschland auch abgekauft haben soll. Das sächsisch-deutsche Volk wäre eine Bereicherung und man solle alle nach Hause zurückholen, hieß es. Deutschland hat die Gefangenen abgekauft und ab 1953 wohl auch uns. Es war trotzdem unsere Entscheidung, nach Deutschland zu gehen, denn alle Deutschen aus Rumänien wurden ja voneinander getrennt. In einer siebenbürgischen Zeitung stand einmal, dass alle Deutschen aus Rumänien heimgeholt werden sollten. Im Nachhinein war das aber nicht mehr so einfach, denn sie haben sich ja schon in der Welt verteilt und einige sind zuvor schon heimgekehrt. Dort stand auch auf sächsisch geschrieben wir werden bleiben wo wir sind, Gott hilf uns jederzeit

Jan: Wenn du an das Leben in Rumänien zurückdenkst, fehlt dir heute etwas?

Großvater: Die Menschen dort waren immer freundlich zu uns. Als wir zurückkamen, haben sie uns zu essen gebracht, sie haben uns nicht ins Lager gestellt und wir haben keinen Frust empfunden. Man rief uns zum Arbeiten bei den Bauern, um unser tägliches Brot zu bekommen und etwas verdienen zu können. Ja, die Freundlichkeit war sehr groß und das bis heute. Es gibt da ein Lied ...(singt):"Am Ort wo meine Wiege stand erblüht mein erstes Glück. Das geb ich nicht für eitles Gut. Drum zieht es mich aus weiter Fern, an diesen Ort zurück. Dort bin ich aller Sorgen frei, dort ruht es sich so süß. Oh liebes teures Mutterherz du bist mein Paradies." Ja sicher, also es liegen ja dort so viele begraben, die man geliebt hat. Der Vater deiner Großmutter, seit sie drei Jahre alt war. Obwohl wir hier jetzt glücklich sind, hat man irgendwie auch dadurch noch eine Verbindung. Man kann niemals vergessen wo wir geboren worden sind.

Jan: Wenn du auf dein Leben zurückschaust, würdest du etwas anders machen im Bezug auf das Zurückkehren nach Deutschland?

Großvater: Nein. Es gab dort kaum eine Zukunft mehr. Zum Beispiel unsere Kinder, der Günther und der Johann, haben hier die Möglichkeit gehabt zu studieren und haben ein gutes Zuhause. Sie konnten in Rumänien nicht studieren, weil sie einen deutschen Namen hatten. Wer einen hohen Rang hatte, konnte dies trotzdem. Das waren nämlich die Zeiten, als die Rumänen wussten, wir würden nicht mehr länger da bleiben, und sie wollten uns nicht studieren lassen, weil wir sowieso das Land verlassen werden. Ich würde es genauso noch einmal machen wie zuvor auch. Unser Hab und Gut, welches unsere Vorfahren innerhalb von 800 Jahren erobert haben, Kirchen und Burgen, sind durch den bösen Krieg verloren gegangen.

Jan: Was würdest du jetzt mit deinen 84 Jahren sagen, wo deine Heimat ist. Hier im Oberbergischen oder in Rumänien?4

Großvater: Ich sage: meine Heimat ist im Himmel. Die heilige Schrift lehrt uns, dass wir Kinder Gottes sind, und wenn wir an Jesus Christus glauben, das ist unser Glaube und dann verlieren wir uns nicht. Es ist eine schwere Antwort, aber ich sage: hier. Diese Lieder, dass es mich zu meiner Heimat wiederzieht, es ist und bleibt auch noch die alte Heimat. Das ist noch in mir und in uns, das wird man niemals verwerfen, aber wir sind hier und sind glücklich. Wir haben etwas geschaffen, und die Kinder sind hier zufrieden, und ihr Enkel seid hier auch fleißig, und dadurch bin ich auch glücklich.

Jan: Vielen Dank für das Gespräch, Opa.

Opa alt