von Wiebke Bathe
Auf eine fast 800jährige Geschichte schaut sie schon zurück, die Netphener Martinikirche, errichtet auf einem Felsvorsprung am Zusammenfluss von Sieg und Obernau. Möglicherweise schon im 11. Jahrhundert erbaut, sind jedoch keine Gründungsurkunde oder ein Grundstein vorhanden. Ihre erste Erwähnung findet die Martinikirche in einer Patronatsurkunde vom 9. Juni 1239, in der Graf Heinrich II. von Nassau dem Kloster Keppel das Patronatsrecht über die Kirche zuspricht.
Umschlossen werden die Kirche und der angrenzende Friedhof von einer Bruchsteinmauer; den Haupteingang zum Kirchhof, der landläufig in „Brauersdorfer Seite“ und „Deuzer Seite“ unterteilt wird, schmückt ein schmiedeeisernes, reich verziertes Tor, welches 1706 entstand.
Die Netphener Martinikirche hat im Laufe der Jahrhunderte einige Umgestaltungen erfahren.
Ein Blitzeinschlag zerstörte 1590 Turm, Glocken und Dachstuhl der Kirche. Bei der darauf folgenden Restauration wurde der Kirchturm ein ganzes Stück kürzer gehalten, so wie er noch heute zu sehen ist, zunächst mit vier kleinen Ecktürmen, die jedoch bei einer umfangreichen Renovierung der Kirche 1811 entfernt wurden. Auch in den folgenden Jahrzehnten wurde die Martinikirche immer wieder instand gesetzt, der jetzige Außenputz wurde 1890 angebracht. Besonders augenfällig sind die Ende des 17. Jahrhunderts entstandene barocke Kanzel und der Baldachin, die vermutlich vom Attendorner Johann Sasse geschaffen wurden. Eine endgültige Bestätigung gibt zwar nicht, jedoch finden sich gleichartige Kanzeln in mehreren Kirchen, unter anderem in Soest und in Mellrich, welche eindeutig Johann Sasse zuzuschreiben sind. Mitte des 18. Jahrhunderts erfolgte auf Wunsch der katholischen Gemeinde der Bau einer Sakristei, die zunächst im alleinigen Eigentum der Katholiken stand und erst 1897 an die evangelische Gemeinde übertragen wurde.
Unter der Martinikirche befand sich lange Zeit ein etwa zehn Meter tiefer Stollen, der noch während des Zweiten Weltkrieges als Schutzbunker genutzt wurde, heute allerdings zugeschüttet ist. Des Weiteren hält sich hartnäckig die Legende, es gäbe unterirdische Gänge in den Kirchberg hinein sowie zwischen den beiden Seiten des Kirchhofs, die ihren Einstieg innerhalb des Kirchenschiffs hätten.
Die Netphener Martinikirche gehört heute zur Evangelisch-Reformierten Kirchengemeinde Netphen, der sie 1897 als Alleineigentum zugesprochen wurde. Diesem Umstand geht jedoch eine lange Zeit von Streitigkeiten um die Vorrangstellung des evangelischen oder des katholischen Glaubens voraus.
Die Auswirkungen, welche die Reformation auf die Netphener Kirchengemeinde hatte, waren beträchtlich. Graf Wilhelm von Nassau-Dillenburg (1487–1559) ließ 1535 mit Johann Lamb den ersten evangelischen Pastor in Netphen einsetzen. Dies sollte jedoch keineswegs Bestand haben, sondern katholische und evangelische Pfarrer wechselten einander mehrfach ab. Die Folge war letztendlich die dauerhafte Besetzung der Martinikirche mit Pfarrern beider Konfessionen. Graf Wilhelm von Nassau-Dillenburg förderte den evangelischen Glauben, ebenso wie sein ihm nachfolgender zweitältester Sohn Graf Johann VI. (1535–1606) und dessen Sohn Johann VII. (1521–1623), dem die Grafschaft Siegen zufiel. Diese wurde nach dem Tod Johanns VII. unter seinen drei Söhnen aufgeteilt, und das Netpherland ging, zusammen mit anderen Gebieten, an Johann VIII., der wiederum 1612 in Rom zum katholischen Glauben übertrat. Mit dem Konfessionswechsel änderte sich häufig auch der Schwerpunkt in der Bevölkerung, dennoch blieben beide Konfessionen in Netphen bestehen.
Während durch den 1651 erlassenen Siegener Religionsvergleich die meisten Kirchen jeweils einer Konfession zugesprochen wurden, sah die Regelung für die Netphener Martinikirche explizit die gleichzeitige Nutzung durch beide Glaubensrichtungen vor.
Dieser Zustand sollte noch mehr als 200 Jahre andauern, denn zu einer endgültigen Trennung der beiden Konfessionen kam es erst 1895 durch den Neubau der katholischen Kirche St. Martin und die 1897 erfolgte Übertragung der Eigentumsrechte an der Netphener Martinikirche auf die evangelische Gemeinde.
Literatur:
Stötzel, Heinz: Vom Kirchturm aus gesehen. Die alte Netphener Martinikirche im Wandel der Zeiten, Netphen 1993.