von Sarah Stöcker
Bei dem ehemaligen Truppenübungsplatz in Trupbach handelt es sich um ein ca. 300 ha großes Gelände. 250 ha gehören zum Kreis Siegen-Wittgenstein, hauptsächlich zu dessen Ortsteil Trupbach, 50 ha gehören zum Ortsgebiet Alchen (Stadt Freudenberg).
1934 hatte Oberbürgermeister Alfred Fißmer das Ziel, Siegen zur Garnisonsstadt zu machen. Erste Verhandlungen fanden bereits ein Jahr zuvor statt. Es waren wirtschaftliche Gründe, die Fißmer bei seinen Entscheidungen leiteten. Durch den Bau der Kasernen bekamen heimische Firmen und die Stadtkasse 18 Millionen Reichsmark. Auch das Ansehen und das nationale Selbstbewusstsein der Stadt stiegen. (Quelle: Herbert Bäumer: Von der Wehrmacht zur belgischen Garnison. Der Militärstandort Siegen in Wort und Bild, Siegen 2001). Unter Protest der Bevölkerung fingen 1936 die Rodungsarbeiten in Trupbach und Umgebung an, um einen Truppenübungsplatz zu errichten. Noch im gleichen Jahr kamen die Soldaten der Wehrmacht an.
1945 trafen die Alliierten in Deutschland ein; auch Trupbach wurde nach heftigen Verteidigungsangriffen von den Amerikanern eingenommen. Ganz Siegen war von den Amerikanern besetzt, die Militärregierung war jedoch britisch. Ein Jahr später wurde Siegen das Hauptquartier für die belgischen Besatzungstruppen. Der Truppenübungsplatz wurde dann bis 1994 von den belgischen Soldaten genutzt. (Quelle: ebd.)
Heute ist das Gebiet ein Naturschutzgebiet mit seltenen Tier- und Pflanzenarten. Im Januar 2014 kehrte noch einmal ein Panzer zurück, um die besondere Landschaft zu erhalten (Abb. 1). Denn nach der Rodung 1936 wurde der Boden jahrelang von Panzerketten befahren und aufgewühlt. Daraus entstand eine Landschaft mit Heiden und Magerrasen, die nun drohte mit Gehölzen wieder zuzuwachsen.
Um die Entwicklung des Truppenübungsplatzes zu zeigen, haben sich drei Personen bereit erklärt über ihre Erfahrungen zu berichten. Sie möchten namentlich nicht genannt werden.
Von Belgien nach Trupbach
Einer der Zeitzeugen ist ein ehemaliger flämischer Soldat. 1954 war er von Belgien nach Lüdenscheid versetzt worden und kam 1970 nach Siegen. Er wurde von der belgischen Armee eingezogen, und mit dem persönlichen Ziel, Pilot zu werden, blieb er dort. Dazu kam es aber nie, stattdessen wurde er Hauptfeldwebel in der Panzereinheit.
Als er nach Lüdenscheid kam, hatte er kaum Kontakt zur deutschen Bevölkerung. Die Garnison wurde auf Distanz gehalten, denn die Spannung des Krieges war noch zu spüren. Erst als man ihn nach Siegen versetzte, wurde das Verhältnis zur Bevölkerung besser. Dazu beigetragen hatte bei ihm persönlich, dass er die deutsche Sprache beherrschte, und durch das Eintreten in einen Schützenverein
gewann er viele deutsche Freunde. Trotzdem, so sagt er, haben die Soldaten wie in einem Ghetto gewohnt. Abgegrenzt von der Bevölkerung, hatten sie in und um ihre Kasernen in Siegen alles was sie brauchten, beispielsweise einen Supermarkt und eigene Casinos. Unter anderem hatten sie auch deshalb keinen Kontakt zu den Trupbachern, obwohl der Truppenübungsplatz sich zu einem großen Teil in Trupbach befand. Er sagt, dass für persönlichen Kontakt auch keine Zeit war.
Auf die Frage, ob noch Spuren der deutschen Wehrmacht sichtbar waren, überlegt er genau. Nur wenig war ihm aufgefallen, aber die belgische Garnison war bereits 25 Jahre auf dem Gebiet aktiv, bis er dort stationiert wurde. In Erinnerung geblieben ist ihm ein kleiner Splitterschutzbunker. Dieser existiert heute noch und wird vom Trupbacher Heimatverein gepflegt (Abb. 2 u. 3).
Er erzählt, dass Panzermanöver auf dem Truppenübungsplatz durchgeführt wurden. Er selbst gehörte zu der Instandssetzungsabteilung und war dafür verantwortlich, verunglückte Panzer zu bergen. Solche Unfälle mit Panzern waren häufig. Verletzt wurde dabei aber niemand. Er sagt, dass seine Abteilung oft die Letzte gewesen sei, die das Gebiet verließ. Heute lebt er in Trupbach und ist Antimilitarist. Geblieben ist er wegen der Liebe und weil er mittlerweile länger in Deutschland gelebt hat, als in Belgien. Er ist sehr zufrieden mit der heutigen Nutzung des Gebietes als Naturschutzgebiet und hofft, dass dieses Biotop erhalten bleibt.
Ein alteingesessener Trupbacher
Auch ein alteingesessener Trupbacher berichtet davon, wie er die Entwicklung des Truppenübungsplatzes miterlebt hat. Vieles haben ihm seine Eltern erzählt. Sie selbst waren von der Enteignung zur Erschließung des militärischen Gebiets betroffen. Genau genommen handelte es sich dabei allerdings um keine Enteignung, sondern um einen Zwangsverkauf, so sagt er. Verkauften die Menschen nicht, so wurde ihnen mit Enteignung gedroht. Er erinnert sich auch daran, dass seine Eltern von einem massiven Protest der Bevölkerung gesprochen haben.
Als Kind betrat er mit seinen Freunden, verbotenerweise, das Truppenübungsgebiet und sammelte die Messingmunition der belgischen Garnison, um sie an Schrotthändler zu verkaufen.
Als Mitglied des Heimatvereins weiß er mehr über den Splitterschutzbunker, der bereits erwähnt wurde. Dieser wurde hauptsächlich nach dem Zweiten Weltkrieg genutzt. Noch vorhandene Munition musste gesprengt werden, dieser kleine Bunker diente als Schutz für die Sprengmeister. Die Altlasten der Wehrmacht sollten vernichtet werden.
Er kennt auch den Schießplatz für Panzer. Dieser wurde von der belgischen Garnison errichtet, und dort sollte das Zielen geübt werden. Um Munition zu sparen, wurden Kleinkalibergewehre an die Panzer gebaut statt Kanonen. Es wurde dann aus nur 25 Metern geschossen. (Abb. 4 u. 5)
Der Eichenweg, eine enge, früher gepflasterte Straße, die vom Dorfzentrum in Trupbach auf den Truppenübungsplatz führt, war der Weg für die Wehrmachtssoldaten, so vermutet er, denn die Soldaten hatten ihre Kasernen auf dem sogenannten Buberg (Ortsteil Trupbach). Der Eichenweg war von diesem Ortsteil der direkteste Weg. Die sogenannte Panzerstraße, die von den Kasernen am Wellersberg (Siegen) zum Truppenübungsplatz führte wurde erst für die belgische Garnison gebaut (Abb.6). Am Ende des Truppenübungsplatzes und am Beginn der Panzerstraße stehen noch heute die Kettensäuberungsanlagen, die einstmals die Panzerketten vom Schlamm befreiten (Abb. 7).
Es gibt eine weitere Vermutung, die er aus Erzählungen übernommen hat. Auf dem Truppenübungsplatz steht ein Andreaskreuz (Abb. 9). Eine Bahnstrecke gab es dort allerdings nie. Laut den Erzählungen soll die Deutsche Wehrmacht einen Bahnhof gebaut haben, der als Attrappe diente, um Luftangriffe auf den Siegener Bahnhof zu verhindern.
Als Mitglied des Heimatvereins hat er sich bereits viel mit dem ehemaligen Truppenübungsplatz und heutigen Naturschutzgebiet beschäftigt. Er korrigiert die Bezeichnung „Naturschutzgebiet“, denn es handelt sich eigentlich um eine Kulturlandschaft. Sie wurde vom Menschen geschaffen und wird bis heute vom Menschen verändert.
Seit 90 Jahren in Trupbach
Seit ihrer Geburt 1923 lebt sie in Trupbach und war 13 Jahre alt, als ein großer Teil von Trupbach zu militärischem Gebiet erklärt wurde. Heute ist die Trupbacherin 90 Jahre alt und zusammen mit ihrer Tochter erzählt sie über ihre Erlebnisse mit dem Truppenübungsplatz. Sie nennt ihn, wie viele andere Trupbacher auch, „Exerzierplatz“, wobei dort nie exerziert wurde.
Die Zeitzeugin erzählt, sie hätte sich als junges Mädchen nicht sonderlich für den Krieg oder für andere lokale, militärische Aktivitäten interessiert. Aber auch ihre Eltern waren von dem Zwangsverkauf der Felder für den Truppenübungsplatz betroffen. Das Wort „Enteignung“ wurde damals vermieden. Auch sie kann sich erinnern, dass es Widerstand gab. Im damaligen Kesselchen, auch heute noch eine Gastronomie am Ortseingang, wurde über Maßnahmen gegen den Zwangsverkauf diskutiert. Ein Erfolg für die Trupbacher gab es nicht, denn unter Hitler war Protest unmöglich. Es kam zu dem Verlust von Haubergsflächen und einer sogenannten „Schläfe“, einem freien Platz, der den Trupbachern für Feste zur Verfügung stand. Dieser Platz fehlte den Einwohnern. Ab 1936 marschierten dann Fußtruppen der Wehrmacht durch Trupbach. Das gesamte Gebiet war gesperrt, denn es wurde scharf geschossen. Als Mädchen, erzählt sie, habe man dem einen oder anderen Soldaten auch mal hinterher geschaut. Aber über Soldaten wurde in der Familie genauso wenig gesprochen wie über den Krieg.
1945 gab es heftige Gefechte im Ort zwischen den Trupbachern und Alliierten. Auch das Haus der Familie wurde getroffen. Für die Angriffe, die auf Trupbach ausgeübt wurden, war allerdings nicht das Militärgebiert verantwortlich, vermutet die 90-Jährige. Es bot wahrscheinlich kein ökonomisches Ziel für die Amerikaner.
Besonders gut kann sie sich daran erinnern, als die belgische Garnison eintraf. 1965 musste ein altes Bauernhaus abgerissen werden, damit vor allem Panzer die Straße passieren konnten (Abb.10 u.11). Einmal rutschte ein Panzer auf dem Eichenweg eine Böschung herunter. Wenn Panzerkolonen durch das Dorf fuhren, wackelten viele Häuser, auch das der Familie, denn es waren meistens nicht weniger als fünf Panzer. Das starke Befahren der Trupbacher Straßen ließ nach, als die Panzerstraße gebaut wurde, erzählt die Tochter. Trotzdem kehrte keine Ruhe ein. Die beiden Frauen erinnern sich daran, dass nachts Übungen durchgeführt wurden, die in ganz Trupbach zu hören waren. Es war unheimlich, man hatte Angst, so die Zeitzeuginnen. Größtenteils lebte man aber friedlich nebeneinander. Mit einem Augenzwinkern sagt die 90-Jährige, dass die Belgier sich benommen hätten.
Die Tochter erinnert sich an ein Erlebnis: Als Kind ging sie mit Freundinnen in der Nähe des Truppenübungsplatzes spazieren. In der Ferne saßen Soldaten am Wegesrand. Als die Männer aufstanden, bekamen die jungen Mädchen furchtbare Angst und rannten davon.
1965 und auch in späteren Jahren kam es zu starken Überflutung des Dorfes. Mutter und Tochter können sich erinnern, denn auch ihr Haus war wieder einmal betroffen. Der ehemalige Truppenübungsplatz lag zu einem großen Teil auf einer Erhöhung, die das Tal Trupbach umgibt. Panzer hatten das erhöhte Gebiet mit dem Trupbach festgefahren und viele Bäume wurden gefällt. Das Wasser konnte nicht mehr in den Boden sickern. Vor allem das Dorfzentrum war von den Wassermassen betroffen (Abb. 12). Heute schützt ein Regenrückhaltebecken vor Überflutungen (Abb. 13).
Heute haben sich die Trupbacher mit dem Gebiet arrangiert, denn es bietet die Möglichkeiten zum Wandern und Erholen.
Zum Schluss eine kleine Anekdote: Napoleon zog während seines Feldzugs von Siegen durch Trupbach nach Freudenberg. Dort soll ihm seine Kasse gestohlen worden sein, die im heutigen Naturschutzgebiet noch immer vergraben sein soll. Diese Geschichte wird von Generation zu Generation weiter getragen.
Abbildung 1: Der Panzer, Typ Leopard auf der Trupbacher Heide (2014).
Abbildung 2: Splitter- Luftschutzbunker
Abbildung 3: Splitter- Luftschutzbunker (Detail)
Abbildung 4: Anlage für Schießübungen
Abbildung 5: Anlage für Schießübungen
Abbildung 6: Teil der Panzerstraße in Richtung Wellersberg. Hier wird sie von der Straße Abendröthe gekreuzt. Panzer hatten hier früher stets Vorfahrt.
Abbildung 7: Kettenreinigungsanlage
Abbildung 8: Ein altes Schild, das auf das einstige Befahren der Straße hinweist. Heute dient sie als Wanderweg.
Abbildung 9: Das Andreaskreuz
Abbildung 10: Das alte Bauernhaus auf der rechten Seite, links geht es zum Eichenweg.
Abbildung 11: Der Abriss des Bauernhauses.
Abbildung 12: Überflutung des Dorfes 1965
Abbildung 13: Das Regenrückhaltebecken im Hannesmännchen, am Ortsende.
Abbildung 14: Ein alter Fahnenmast im Naturschutzgebiet
Abbildung 15: Noch heute sind die Spuren der Panzerübungsstecken erkennbar.
Abbildung 16: Eine Karte des Naturschutzgebietes „Heiden und Magerrasen bei Trupbach“ für Wanderer.