Das Volkslied der Stadt Waldbröl

von Sarah Schumacher



„Die Täler und Hügel, die Bäche und den Wald.“
„Die Natur, aber auch die Industrie, denn hier fand man gut Arbeit.“

„Eine Schule in direkter Nachbarschaft und die gute Busanbindung und früher die Bahn, mit der ich täglich zur Arbeit fuhr.“
Antworten und Gründe von Alt-Oberbergern, wenn man sie fragt, was ihnen an ihrer Heimat gefällt und warum sie sich entschieden haben, hier eine Familie zu gründen. Wenn der Nebel noch im Tal steht und die Sonne gerade aufsteigt, erkennt man, was das Oberbergische Land ausmacht. Nahezu mystisch, welche schönen Bilder die Natur für uns bereithält. Hinzu kommen die Gesänge von Amseln und Meisen, die den Tag einläuten.
Manch einer, der in Waldbröl nur einen Zwischenstopp einlegt oder auf der Durchreise ist, mag nicht gleich erkennen, was Anton Wilhelm von Zuccalmaglio sich wohl dabei gedacht haben mag, als er das Lied „Kein schöner Land“ komponierte. Zwar ist der örtliche Vieh- und Krammarkt, auf dem Bauern und Landwirte ihre Waren anpreisen, in der weiteren Umgebung sehr beliebt, doch bleibt dies für manche auch der einzige Grund, um nach Waldbröl zu kommen.
Die vielen leer stehenden Geschäfte vermitteln zu schnell den Eindruck einer eher trostlosen Stadt. Doch betrachtet man die Umgebung, welche mit ihren Talsperren und dem Naturschutzgebiet einen Rückzugsort für viele Tierarten bietet und in der Kinder, weitab von viel befahrenen Straßen, auf Bäume klettern, Tiere beobachten und Staudämme bauen können, versteht man, weshalb Zuccalmaglio gerade dieses Land preist und eine Hymne darauf schrieb.

Kein schöner Land in dieser Zeit,
als hier das unsre weit und breit,
wo wir uns finden
wohl wir unter Linden
zur Abendzeit, Abendzeit.

Da haben wir so manche Stund'
gesessen wohl in froher Rund'
und taten singen;
die Lieder klingen
im Eichengrund.

Daß wir uns hier in diesem Tal
noch treffen so viel hundertmal,
Gott mag es schenken,
Gott mag es lenken,
er hat die Gnad'.

Nun, Brüder, eine gute Nacht,
der Herr im hohen Himmel wacht!
In seiner Güten
uns zu behüten
ist er bedacht.


Anton Wilhelm Florentin von Zuccalmaglio wurde am 12. April 1803 in Waldbröl geboren. Doch nur ein Jahr nach seiner Geburt zog die Familie von Jakob Salentin und seiner Frau Klara aus beruflichen Gründen nach Schlebusch bei Leverkusen. Hier wurde1806 Wilhelms Bruder Vinzenz geboren, der wie er selbst ein Interesse für Dichtung und Volkslieder entwickeln sollte. Zusammen besuchten sie die Universität in Heidelberg, an der sich ihre Leidenschaft zur Musik weiter entfaltete, obwohl sie eigentlich Rechts- und Staatswissenschaften studierten. Die Brüder begannen, alte Volkslieder aus dem bergischen Raum zu sammeln und gaben sich Namen, die ihre Herkunft erkennen ließen. Anton Wilhelm nannte sich „Wilhelm von Waldbrühl“ und Vinzenz „Montanus“ (‚der Berger‘).
Neben seinen Tätigkeiten als Erzieher und Privatlehrer pflegte Wilhelm immer den Kontakt zu anderen Musikern und verfasste zusammen mit dem Musikwissenschaftler Andreas Kretzschmer die Sammlung „Deutsche Volkslieder mit ihren Originalweisen“, welche 1838 zum ersten Mal veröffentlicht wurde und über 300 Volkslieder enthielt. In einem zweiten Band, der 1840 erschien, gab es neben den gesammelten Werken jedoch auch diese, die Wilhelm selbst verfasst oder abgeändert hatte. Eines dieser Lieder ist das wohlbekannte „Kein schöner Land“, welches aber erst ab 1912 seine wahre Bekanntheit erlangte, als es Teil eines Wandervogel-Liederbuchs wurde.
Bevor Anton Wilhelm 1832 seine Stelle als Erzieher in Warschau antritt und auch in der Zeit danach lebt er meist bei Freunden und pendelt in der Gegend Düsseldorf/Köln umher. Zwischenzeitlich kehrt er auch zurück in seine Heimat, um Familie und Bekannte zu besuchen. In Briefen beschreibt er die Veränderungen, die er dort feststellt. Das stille Landleben hatte sich in seinen Augen verändert und war lebendiger und eingebundener geworden. Auch beschreibt er das „öde Land“, welches das Waldland aus seiner Jugendzeit ersetzt hat. Als die Gemeinde auf seine „Bewaldungsvorschläge“ nicht eingeht, unternimmt er selbst Bemühungen, Tannenzapfen sowie Bucheckern und Eicheln auszustreuen, um die Umgebung wieder zu bewalden.
Im Liedertext zu „Kein schöner Land“ finden wir Punkte wieder, die auch die heutigen Oberberger genannt haben. Vor allem das „Grüne“ scheint ein Beweggrund zu sein, hier zu bleiben. Neben der Natur erzählt das Lied von gemeinsamen Abenden, an denen gesungen und zusammen gesessen wird. Im Sommer findet sicher auch heutzutage das ein oder andere Nachbarschaftstreffen beim Grillabend statt, doch ich denke, dass der Zusammenhalt damals schon sehr viel größer gewesen sein muss, da die Menschen aufeinander angewiesen waren. Hilfe bei der Ernte, beim Heumachen oder auch in Krankheit waren wesentliche Bestandteile einer guten Nachbarschaft. Auch der religiöse Ton lässt auf die Entstehungszeit schließen, da die Kirche für die Menschen einen wichtigen Halt bot und Grundlage zur Gemeinschaft bildete. Die Anhänger der verschiedenen Glaubensrichtungen blieben meist unter sich und sangen bei abendlichen Treffen auch das ein oder andere Volkslied.
Trotz der kulturellen Veränderungen oder auch gerade deshalb ist das Oberbergische Land etwas Besonderes. Die letzten Jahre sind vor allem geprägt von Migration und kulturellem Austausch. Langsam lösen sich Vorbehalte auf und es wird daran gearbeitet, Waldbröl gemeinsam ansprechender zu gestalten. Auch künftig werden die Natur und deren Vielfalt im Vordergrund stehen, und so bleibt das, was Zuccalmaglio so nachhaltig beeindruckt hat, erhalten. Attraktionen, die momentan in Arbeit sind, wie z.B. die ‚Wiehltalbahn‘, der ehrenamtliche Helfer neues Leben einhauchen oder auch der Naturerlebnis-Park ‚Panarbora‘ der im Nutscheid entsteht, werden sicherlich auch dazu beitragen, das Oberbergische Land noch beliebter zu machen.
Die Gebrüder Anton Wilhelm und Vinzenz Jakob sind heutzutage weit über die Grenzen des Bergischen Landes bekannt für Volkslieder und Gedichte. In der Waldbröler Altstadt finden wir nicht weit vom Geburtshaus Anton Wilhelms dieses Denkmal, welches 2003 entstand:
2013 wurde dem Denkmal in der Hochstraße eine weitere Attraktion hinzugefügt: das Waldbröler Glockenspiel. Dieses neue Wahrzeichen erklingt nun dreimal täglich mit der Melodie zu „Kein schöner Land“ und spielt auch zu gegebenen Anlässen das ein oder andere klassische sowie moderne Lied.

Liedertext gefunden auf http://www.lieder-archiv.de/kein_schoener_land-notenblatt_300139.html
Zuccalmaglio, Anton Wilhelm: Erinnerungen. Band III: Zeit der Entdeckungen, Hg. v. Else Yeo, Bonn: Schwartz, 1991
Bolte W., Engelbert W.: Anton Wilhelm Florentin von Zuccalmaglio, ein „lieder“-liches Genie, Hg. v. Heimatbund Märkischer Kreis, Balve: Zimmermann, 1991